Nach dem Übergang von der griechischen zur römischen Dominanz in der Mittelmeerwelt stieg auch das Christentum schrittweise zur dominierenden religiösen und politischen Kraft auf. Unsere Zeitrechnung fällt im Grunde mit diesem kulturellen und machtpolitischen Wechsel zusammen – das Jahr 0 steht sinnbildlich für den Beginn des Aufstiegs der römisch-katholischen Macht. Und für das Ende von Priesterinnen, Orakelmedien und Göttinnenkulten – also weiblicher Einflüsse innerhalb religiöser Vorstellungen und Kultpraxis.
In diesem machtpolitischen und geistigen Umbruch begann die christliche Kirche, all jene religiösen Praktiken, die ihren Lehren widersprachen, als heidnisch dämonisch zu brandmarken. Es war die christliche Art der Distanzierung: Die Kirche beanspruchte das Monopol auf göttliche Wahrheit und Offenbarung für sich. Praktiken wie Orakel und Weissagungen, wie sie ein fester Bestandteil der antiken griechischen Religion gewesen waren, wurden als gefährliche Konkurrenz betrachtet, die es zu bekämpfen galt.
Die Vorstellung, dass Menschen aus eigener Kraft Zugang zu höherem Wissen oder zur Erkenntnis über die Zukunft erlangen könnten, war den autoritären Kirchenvätern ein Dorn im Auge. Stattdessen stellten sie die Kirche selbst als die einzig wahre Instanz göttlicher Offenbarung dar und erhoben den christlichen Gott zum alleinigen Ursprung der Wahrheit. Diese offenbare sich ausschließlich durch die Heilige Schrift, das Wirken Jesu Christi und die autoritative Auslegung durch die Kirche.
Das Orakel von Delphi – Pilgerstätte der alten Griechen
Im antiken Griechenland galten Orakel als Verbindung zwischen den Menschen und der göttlichen Welt. Sie wurden bei politischen Entscheidungen, militärischen Unternehmungen oder auch bei ganz persönlichen Fragen zu Liebe, Ehe oder Nachkommenschaft konsultiert. Berühmte Heiligtümer wie das Orakel von Delphi waren weit über die Grenzen Griechenlands hinaus bekannt und zogen Ratsuchende aus allen Teilen der antiken Welt an. So, wie Christen heute den Vatikan als heilige Pilgerstätte aufsuchen, reisten die Frauen und Männer aus Griechenland zum Orakel von Delphi, allerdings nicht zum Gebet, sondern um Antworten auf Fragen zu erhalten. Die Weissagungen, die in rituellen Handlungen empfangen wurden, hatten erheblichen Einfluss auf das Denken und das Handeln der Menschen.
Das Orakel von Delphi war eingebettet in einen heiligen Tempelkomplex, der dem Gott Apollon geweiht war. Ursprünglich fand die Weissagung nur einmal im Jahr statt – am siebten Tag des Monats Bysios(2), der als Geburtstag Apollons gefeiert wurde. Dieser Tag galt als besonders heilig und war der einzige Zeitpunkt, an dem das Orakel befragt werden durfte. Erst in späterer Zeit wurde diese Praxis erweitert, sodass Weissagungen an mehreren festgelegten Terminen im Jahr möglich wurden.
Das Orakelmedium war eine Priesterin Apollons – die Pythia. Die Pythia wurde aus einfachen, sittlich unbescholtenen älteren Frauen aus der Region gewählt. Eine Ehe war kein Hindernis, doch während ihrer Amtszeit musste sie in strenger Enthaltsamkeit und Zurückgezogenheit leben und sich der Meditation widmen, um ein möglichst reines Gefäß für Apollon zu sein. Während der Weissagung saß sie auf einem von Lorbeerzweigen umgebenen dreibeinigen Hocker (Tripod) im Apollon-Tempel und versetzte sich durch Rituale in Ekstase. In diesem Zustand beantwortete sie die Fragen der Ratsuchenden, mit einem Lorbeerblatt im Mund und in unzusammenhängender Sprache. Ihre Worte galten als göttlich inspiriert und wurden von Priestern gedeutet und in eine verständliche Form gebracht.
Der Lorbeer – die Orakelpflanze der Griechen
Der Lorbeer als rituelle Pflanze hat seinen Ursprung in der kultischen Praxis der griechischen Welt. In der griechischen Mythologie war er eng mit dem Gott Apollon, dem Gott der Weissagung, verbunden. Grund dafür war die Sage der Nymphe Daphne. Sie wurde auf der Flucht vor Apollons Werbung von den Göttern in einen Lorbeerstrauch verwandelt. Aus Trauer trug Apollon fortan einen Lorbeerkranz und erklärte den Baum zu seiner heiligen Pflanze. Dieser Mythos war der Grund, warum der Tempel des Apollon mit Lorbeerzweigen geschmückt und mit Lorbeerbesen gereinigt wurde.
Die mythologische Verwandlung der Daphne in einen Lorbeerbaum machte ihn zum göttlichen Baum der Inspiration und der Prophetie. Der Baum wurde so sehr verehrt, dass ihm antike Autoren sogar „Daphne“ nannten. Und da Apollon Daphne so vergötterte, stand der Lorbeer symbolisch für die Anwesenheit Apollons.
Im antiken Griechenland gab es niemanden, der nicht über die spirituelle Bedeutung des Lorbeerbaums Bescheid wusste. Menschen aller Stände schrieben ihm magische Schutzkräfte zu: Das Aufhängen von Lorbeerzweigen wehrte Unglück und Geister ab. Um böse Einflüsse aus dem Haus zu vertreiben, wurde mit Lorbeer ausgeräuchert. Der Lorbeer galt auch als Symbol des Erfolgs und der Ehrung. Siegreichen Heimkehrern und verdienstvollen Persönlichkeiten wurde er in Form eines Kranzes bei feierlichen Anlässen überreicht.
Die wichtigste Rolle spielte der Lorbeer jedoch im Orakelwesen. Als Sinnbild der Gottesinspiration war er das wichtigste Element der griechischen Weissagungsrituale. Um in einen religiös-ekstatischen Zustand zu gelangen und die göttliche Botschaft zu empfangen wurden Lorbeerblätter gekaut oder geräuchert.
Kein Luxus – nur fromme Weissagung
Während in Ägypten, Mesopotamien oder Vorderasien eher Weihrauch, Myrrhe, Styrax und andere Harze zu den heiligen Pflanzen gehörten, nutzte die griechische Pythia Lorbeer zusammen mit Gerstenmehl. Der Priester Plutarch berichtet im 1. Jahrhundert. n. Chr. in seiner Schrift De defectu oraculorum („Vom Erlöschen der Orakel“) darüber, dass sie manche dafür tadeln, dass sie so einfache, unscheinbare Stoffe verwendet, anstatt luxuriöse Importware wie Weihrauch, Ladanum oder Zimt. Aber Frömmigkeit, Schlichtheit und Einfachheit waren ein wesentlicher Teil der griechischen Kultur in der frühen Antike. Erst in späteren Jahrhunderten traten Prachtentfaltung und repräsentativer Aufwand stärker in den Vordergrund. Anstatt des süßlichen Duftes von Zistrose oder Zimt erfüllte der charakteristische aromatische Lorbeerrauch den Tempelraum. Das Orakel war eine heilige Handlung, keine sinnesverführerische Show; strenge Heiligkeit war wichtiger als der berauschende Duft von Zimt oder Myrrhe.
Lorbeer als Träger der göttlichen Inspiration – so wurde der Lorbeer rituell verwendet
Beim Orakel von Delphi wurde der Lorbeer sowohl gekaut als auch geräuchert. Bei der Räucherung wurde er zusammen mit Gerstenkörnern auf glühende Kohlen gelegt. Der Rauch galt als heiliges Medium, das den Übergang zu den göttlichen Sphären erleichtert. Das Räucherbecken war nicht der Dreifuß auf dem sie saß, sondern eine Opferschale. Die Kombination aus Kauen und Einatmen des Lorbeerrauchs galt als Mittel, die mantische Begeisterung – also den Trancezustand – zu fördern.
1. Göttliche Zeichen deuten
Am Orakeltag selbst musste zuerst ein Zeichen die göttliche Bereitwilligkeit bestätigen: Ein Oberpriester besprengte eine junge Ziege mit eiskaltem Wasser. Zuckte das Tier zusammen, war dies ein gutes Vorzeichen(3). Das Tier wurde als Opfer geschlachtet und auf dem Altar des Apollon verbrannt. Blieb die Ziege jedoch ruhig, galt dies als schlechtes Omen und das Orakel fiel aus; die Ratsuchenden mussten unverrichteter Dinge umkehren.
Aus heutiger Sicht ist das zweifellos grausam und ethisch problematisch. All die sakralen Erklärungen – dass das Tier Teilhabe am Göttlichen erfahre oder der Gemeinschaft diene – mögen damals kulturell Sinn gemacht haben, doch sie relativieren nicht den tatsächlichen Akt der Gewalt an einem unschuldigen Tier. Heute verstehen spirituelle Frauen ihre Verbundenheit mit der Natur nicht mehr als etwas, das über Opferblut oder Schmerz vermittelt werden muss, sondern über Symbolik, die kein Leid erzeugt. Heute würden wir die Beobachtung natürlicher Zeichen zur Bestätigung göttlicher Bereitschaft verwenden, etwa den Flug eines Vogels oder das Verhalten einer Kerzenflamme – ähnlich wie die Auguren der Römer, aber ohne Zwang oder Schaden.
2. Innerliche und äußerliche rituelle Reinigung
Erst nach dem Opfer begann die eigentliche Vorbereitung der Pythia. Begleitet von zwei Priestern begab sich die Priesterin zur heiligen Kastalie-Quelle im Tal, wo sie nackt ein rituelles Bad nahm(4), um sich zu reinigen. Anschließend trank sie ein paar Schlucke vom Wasser einer zweiten Quelle, der Kassiotis. Diese Reinigungsrituale sollten sie sowohl körperlich als auch spirituell reinigen und auf ihre Rolle als Medium einstimmen. Auch die Ratsuchenden mussten sich reinigen(5), ein Opfer darbringen und in ehrfürchtiger Stille mit reinen Gedanken in Hallen vor dem Eingang zum Tempel warten. Schon die Vorbereitungen waren also darauf ausgelegt, eine sakrale Atmosphäre zu schaffen.
3. Rituelle Kleidung, heilige Stätten und ein ewiges Feuer
Nach den Reinigungsritualen kleidete sich die Pythia in einfache, weiße Gewänder und kehrte – nun begleitet von zwei Oberpriestern und fünf Männern des Tempelgremiums – in den Apollon-Tempel zurück. Dort führte man sie in das Allerheiligste des Tempels, das Adyton. In diesem innersten Raum befand sich der Omphalos – der Nabelstein als symbolischer Weltmittelpunkt sowie ein Altar: Eine Feuerschale oder Steinmulde, in der das ewige Feuer brannte.
4. Lorbeer und Ekstase
Die Pythia nahm auf dem Dreifuß Platz – einem hohen, dreibeinigen Hocker, der über einer Erdspalte aufgestellt war. Aus der steinernen Schale wurde das heilige Feuer entnommen, um damit die Glut in der Räucherschale zu entfachen, in der das Gerstenkorn zusammen mit dem Lorbeer dem Rauchopfer dargebracht wurde. Daraufhin versank die Pythia in einen ekstatischen Trancezustand, um die Präsenz Apollons aufzunehmen. Die Prophezeiung selbst erfolgte im Anschluss an die Trance. In diesem Zustand sprach der Gott Apollon aus Pythias Mund. Eine kohärente Antwort erhielten die Ratsuchenden durch die anwesenden Priester (Propheten), die die Äußerungen der Pythia interpretierten.
Das Orakel von Delphi – ein Channeling-Medium
Das Ritual des Orakels von Delphi ähnelt dem, was man heute als Channeling bezeichnet: Die Pythia gibt in einem außeralltäglichen Bewusstseinszustand göttliche Botschaften weiter, ähnlich wie ein Medium Mitteilungen aus höheren Sphären empfängt. Und die Priester übertragen – ähnlich wie bei einer Channeling-Transkription – ihre inspirierte Sprache in eine verständliche Botschaft.
In der modernen Channeling-Szene werden in der Regel keine halluzinogene Drogen verwendet. Ein Medium erreicht veränderte Bewusstseinszustände durch psychodynamische Wirkungen. Nüchtern betrachtet enthält der Lorbeer ein paar ätherische Öle, vor allem Eugenol und Cineol, die beim Erhitzen oder Räuchern freigesetzt werden. Diese wirken leicht betäubend und beruhigend, möglicherweise auch mild bewusstseinsverändernd, vor allem in Verbindung mit Fasten und Dunkelheit. Die Trance in Delphi wurde jedoch in Kombination mit anderen Reizen erreicht. Zusammen mit der rituellen Reinigung, der Ehrfurcht einflößenden Stätte und den rituellen Gesängen konnte das Räuchern durchaus zu einem Zustand führen, der als Trance oder göttliche Inspiration empfunden wurde. Es war also niemals der Lorbeer allein dafür ausschlaggebend, dass man einen anderen Bewusstseinszustand erreichte, sondern stets die Kombination aus rituellem Rahmen, symbolischer Bedeutung, atmosphärischer Dichte, kollektiv erzeugtem Energiefeld und der eigenen inneren Erwartung – Elemente, auf die die menschliche Psyche besonders empfänglich reagiert. Es war die psychodynamische Wirkung, die eine kontrollierte Trance oder einen autohypnotischen Zustand hervorrufen konnten.
Daphnomantie: Das kleine Orakel befragen
Das Orakel von Delphi war für viele Menschen zu weit weg, die verlangten Opfer zu teuer oder der Orakeltag lag noch in zu weiter Ferne. Deshalb orakelten die Griechen auch selbst – ganz ohne Pythia. Sie lasen der Klang der raschelnden Loorbeerblätter oder den Rauch des verbrannten Lorbeers. Das Rascheln im Wind oder das Knistern im Feuer galt als Stimme Apollons. Diese akustische Orakelpraxis, die heute Daphnomantie genannt wird, stand anderen mantischen Methoden (z. B. Wasserorakel, Vogelschau) gleichwertig gegenüber.
Bei der Daphnomantie war es üblich, einen Lorbeerzweig ins Feuer zu werfen und aufmerksam auf die Geräusche zu achten, die dabei entstanden. Wenn der Zweig knackte, zischte oder prasselte, galt dies als günstiges Zeichen – ein Hinweis auf göttliche Zustimmung oder bevorstehendes Gelingen. Blieb der Zweig jedoch stumm und verglühte ohne hörbares Geräusch, wurde dies als schlechtes Omen gedeutet – ein Zeichen von göttlicher Zurückhaltung oder drohendem Unheil.
Bei den Römern verlor der Lorbeer seine Symbolkraft
Als Rom sich zu einer imperialen Großmacht im Mittelmeerraum entwickelte und militärisch die Oberhand gewann, setzte es nach und nach seine politische und territoriale Kontrolle durch. Aber auch das antike Römische Reich verfiel. Der Verfall war das Ergebnis zunehmender innerer Instabilität, militärischer Schwäche und eines stetig wachsenden Drucks durch die Völkerwanderung.
Nach dem Untergang des antiken Römischen Reichs blieb die Idee des „Imperium Romanum“ weiterhin maßgeblich für das politische Denken Europas. Das spätere Heilige Römische Reich, das von 800 bis 1806 bestand, verstand sich ausdrücklich als Fortsetzung römischer Ordnung – wenn auch in veränderter Form.
Sowohl in der römischen Antike als auch in der römisch-katholischen Kultur überlebte die Symbolkraft des Lorbeers nur in Teilen. In beiden Kulturen blieb der Loorberkranz als Zeichen des Sieges erhalten: Bei den Römern schmückte er die Häupter triumphierender Feldherren, bei den Christen galt er als Sinnbild des Sieges über den Tod und wurde mit der Auferstehung Christi assoziiert. Alle anderen Bedeutungen lehnte die christliche Kirche als heidnisch oder häretisch ab.
Medizinisch wurde Lorbeer vielfältig eingesetzt. Bereits der griechische Arzt Hippokrates schätzte ihn als Heilmittel, etwa gegen bestimmte Frauenleiden. Von der Antike bis in die Frühe Neuzeit galten Lorbeerzubereitungen als nahezu universell heilkräftig. Das Christentum übernahm vielerorts heidnische Heilpflanzen und rituelle Pflanzenverwendungen. Seine Verwendung war in der Klostermedizin fest verankert und blieb ungebrochen Bestandteil medizinischer Praxis. Aber den Frauen, die trotz der Christianisierung ihre uralten Familientraditionen pflegten, galt der Lorbeer auch weiterhin als Orakelkraut und Schutzmittel gegen Unheil.
Heute denken viele bei Lorbeer nur mehr an ein Küchenkraut – ein Gewürz zum Verfeinern von deftigen Fleischgerichten, das wir aufgrund seiner harten und ledrigen Konsistenz vor dem Verzehr entfernen. Lorbeerblätter enthalten jedoch eine Vielzahl ätherischer Öle und Wirkstoffe, die zwar eine geringe, aber dennoch vorhandene psychoaktive Wirkung haben. Sie enthalten zwar keine Halluzinogene in ausreichender Menge, um den Bewusstseinszustand merklich zu verändern, besitzen allerdings Bestandteile wie 1,8-Cineol (Eukalyptol), Eugenol und Methyleugenol, die mild sedative und betäubende Eigenschaften besitzen. Hochdosiertes Lorbeeröl kann sedierend wirken und die motorische Koordination beeinträchtigen; in sehr hoher Dosierung entfaltet es sogar eine narkotisierende Wirkung. Dieses sedative Potential könnte erklären, warum das Kauen von Lorbeerblättern in Delphi als beruhigend oder trancefördernd angesehen wurde.
Es war Lorbeer – kein Oleander!
Im Jahr 2014 wurde eine Hypothese veröffentlicht, wonach die Pythia gar keine Lorbeerblätter, sondern Blätter des Oleanders nutzte. Dessen Wirkung soll auffallend zu den beschriebenen Symptomen der Pythia passen, die von antiken Schilderungen stammen. Die Pythia diente jedoch in der Regel für viele Jahre, manche sogar mehrere Jahrzehnte, in Delphi. Oleander ist hochgiftig, bereits in kleinen Dosen. Eine wiederholte Einnahme oder das regelmäßige Inhalieren seines Rauchs hätte bei der Pythia sehr schnell zu schweren Vergiftungen oder dem Tod geführt. Hätte sie regelmäßig Oleander gekaut oder geäuchert, hätte sie diese Zeit nicht überlebt. Es gibt auch keine Berichte über eine auffällig hohe Sterblichkeitsrate oder fortlaufende medizinische Zusammenbrüche unter den Pythiai – im Gegenteil, der Priester Plutarch hebt hervor, dass sie nach den Orakelsitzungen oft ruhig, gefasst und bei klarem Verstand war. Alles spricht klar dafür, dass der veränderte Bewusstseinszustand nicht pharmakologisch induziert, sondern rituell, atmosphärisch und psychologisch hervorgerufen wurde.
Es war die rituelle Handlung – kein betäubender Dampf!
Aus antiken Überlieferungen wissen wir, dass die Pythia auf einem Dreifuß saß, der sich auf einer Erdspalte befand. So kamen einige, angeregt durch die Überlieferung aus antiken Quellen, auf die Hypothese, dass aus der Erdspalte halluzinogene Gase aufstiegen, welche die Pythia in Ekstase versetzten. Auch die Kirchenväter schienen an diesem Bild ihren Gefallen zu finden – Johannes Chrysostomos etwa berichtete, die Pythia setze sich beim Orakelspruch mit gespreizten Beinen auf den Dreifuß des Apollon, und dann steige „ein böser Geist von unten herauf“ in ihren Körper. Dieser Geist erfülle die Frau mit Wahnsinn und sie werfe daraufhin mit offenem Haar und schaumigem Mund unverständliche Worte heraus.
Der Tempel stand tatsächlich an einem Ort, an dem zwei Erdverwerfungen aufeinandertrafen. Aber wenn halluzinogenes Gas in einer Konzentration in der Luft vorhanden gewesen wäre, die ausgereicht hätte, die Pythia in Trance zu versetzen, müsste man eigentlich erwarten, dass auch die anwesenden Priester oder Ratsuchenden ähnliche Wirkungen gespürt hätten. Doch dem scheint nicht so gewesen zu sein. Zudem gibt es bis heute weltweit keinen einzigen weiteren Ort, an dem natürliche Gase austreten, die halluzinogen wirken.
Quellen:
(1) Kallimachos, Das Streitgespräch zwischen dem Lorbeer und dem Ölbaum, projekt-gutenberg.org
(2) Der siebte Tag des Bysios nach dem delphischen Kalender entspricht dem siebten Tag nach dem ersten Neumond nach der Wintersonnenwende.
(3) Das Orakel von Delphi, de-academic.com
(4) Das Orakel von Delphi, de-academic.com
(5) The Delphic Oracle, theosophy-nw.org
(6) Homilie 29 zum 1. Korintherbrief, Predigt von Johannes Chrysostomos, 4. Jahrhundert n. Chr.
Bild: KI