Hingerichtet, weil die Gemeinde ihr Weinen hörte
Ein typisches Opfer der Gesellschaft
Die 61-jährige Kräuterfrau, Hebamme und Heilerin Anna Kramer aus Veringenstadt wurde der Hexerei bezichtigt, gefoltert und zum Tode verurteilt. Für die Folter musste sie ein besonderes Hemd anziehen, in welches magische Zettel mit „Beschwörungsformeln gegen das Böse“ eingewebt worden waren. Anna wurde in Veringenstadt öffentlich enthauptet, ihre sterblichen Überreste verbrannt.

Historische Daten für Veringenstadt des Jahres 1680:
Hoheitsgewalt: Österreichische Oberhoheit (Vorderösterreich)
Herrschaftsform: Reichsfürstentum Hohenzollern-Sigmaringen als österreichisches Lehen
Landesherrschaft: Meinrad I., Fürst von Hohenzollern-Sigmaringen / Erbfolgeprinz Maximilian
Reichszugehörigkeit: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation
Reichskreiszugehörigkeit: Schwäbischer Reichskreis
Höchste kirchliche Autorität: Papst Innozenz XI.
Höchste regionale kirchliche Autorität: Fürstbischof Franz Johann Vogt von Altensumerau und Prasberg
Höchste weltliche Autorität: Leopold I., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches
Höchste regionale weltliche Autorität: Dr. Johannes Baptist Kirsinger
Konfessionszugehörigkeit: Überwiegend römisch-katholisch
weitere Beteiligte: Amtmann Heinrich Ludwig von Holzing
Anna Kramer war den Gemeindemitgliedern als Bader-Ann[1] bekannt. Sie heiratete mit 16 Jahren den Bader Albert Kohler. Zur Zeit der Anklage war Anna sechsfache Mutter, wobei davon nur noch 4 Kinder (Albrecht, Johanna, Maria und Bartle) am Leben waren. Der wahre Grund für die Anklage war, dass sie von ihrem zweiten Mann geschlagen wurde und in der Gemeinde oft Schreie von ihr zu hören waren. Dieser Umstand legte den Grundstein für den Hexenprozess gegen sie.
Anna heiratet den Hufschmied Endriß
Anna hatte nach dem Tod ihres ersten Mannes 37-jährig den 51-jährigen Hufschmied Andreas Endriß geheiratet. Sie zog zu ihm in die Schmiede und hinterließ die Badstube ihrem Sohn Albrecht. Im Gegensatz zu ihrem ersten Mann, dem sanftmütigen, gelassenen und friedfertigen Bader, war der Hufschmied unbeherrscht, jähzornig und grob. Er behandelte Anna mehr wie eine Dienstmagd als wie seine Ehefrau. Schon kurz nach der Hochzeit wurde er Anna gegenüber gewalttätig. Da sich die Schmiede unmittelbar am Marktplatz befand, bekamen die Einwohner von Veringenstadt die Auseinandersetzungen der beiden mit.
Er wird gewalttätig – aber sie ist die Schuldige
Es waren die Gewalttätigkeiten des Hufschmieds, die das Gerede über die Bader-Ann einläuteten. Aber anstatt ihren Ehemann zur Verantwortung zu ziehen, lasteten die Stadtbürger die alleinige Schuld der Anna Kramer an. In der Stadt verbreitete sich die Aussage, dass die Bader-Ann eine „schlechte Frau“ sei. Ihre Vergangenheit blendeten sie aus – dabei hatte Anna in ihrer ersten Ehe mit Albert 21 Jahre lang in einer harmonischen und stillen Gemeinschaft gelebt. Scheinbar vergaßen die Bürger der Stadt auch, wie oft Anna ihnen in der Badstube gemeinsam mit ihrem Mann Albert geholfen hatte. Die Vergangenheit zählte nichts mehr. Für eine Frau genügte es, einen jähzornigen Mann zu heiraten, der sie schlug – prompt galt nicht er, sondern sie als verwerflich. Die Schuld und die Fehler des Mannes wurden kurzerhand auf die Frau übertragen.
Schwanger von einem Rüpel
Ob eine Ehe glücklich oder unglücklich war, spielte im Deutschland des 17. Jahrhunderts keine Rolle. Entscheidend war allein die Erwartung, dass die Ehefrau ihrem Mann Kinder gebar. Und so gebar Anna dem Hufschmied im Jahr 1660 41-jährig den Sohn Bartle. Als der Junge groß genug war, um nicht mehr ständig von ihr versorgt werden zu müssen, begann Anna damit, in den benachbarten Orten kranken Menschen zu helfen. Anna zog gern in der Gegend umher – das war ihr weit lieber, als in der Schmiede bei ihrem Mann zu bleiben, in dessen Nähe es jederzeit wieder zu einer Auseinandersetzung kommen konnte. Bei ihren heilerischen Tätigkeiten bediente sie sich des Wissens, das sie von ihrem ersten Mann, dem Bader Albert, gelernt hatte. Bestimmt erinnerte sie sich in dieser Zeit, als sie über die Wiesen und Wege striff, oft an die schöne Zeit mit ihm. Jetzt, wo ihr jüngster Sohn kein Kleinkind mehr war, konnte sie sich endlich die Zeit nehmen, um der Liebe ihres Lebens nachzutrauern. Die Arbeit bei der Kundschaft half ihr dabei, ihre dunkle Gegenwart für kurze Zeit zu vergessen. Sie bereitete Aufgüsse und Salben aus Kamille, Schafgarbe, Beifuß und Salbei zu und führte wärmende oder schmerzlindernde Anwendungen durch, unterstützte Frauen mit menstruationsfördernden Mitteln, bot Massagen und Haarwäschen an und übernahm Tätigkeiten, die in den Bereich der Hebammenkunst fielen.
Gerede setzt auch immer etwas in Bewegung
Doch trotzdem Anna vielen Menschen geholfen hatte, rissen die Gerüchte über sie nicht ab. Noch immer hörte man sie des Nachts in der Schmiede schreien, toben und weinen. Dazu kam, dass sie in letzter Zeit auch noch spät Nachts nach Hause kam. Gerede setzt auch immer etwas in Bewegung. Und so musste man nicht lange warten, bis sich eine Veringenstädterin bemüßigt fühlte, Anna – aus Langeweile, Eifersucht oder Boshaftigkeit – als Hexe beim Schultheiß anzuzeigen. Die Witwe Anna Herre behauptete, die Bader-Ann habe ihr auf der Brechstatt, wo sie gemeinsam Hanf brachen, einen verhexten Brei überlassen, nach dessen Verzehr sie schwer erkrankt sei. Erst nachdem sie Theriak, ein „Allheilmittel“ mit opiumhaltigen Bestandteilen, eingenommen hatte und erbrach, wurde sie angeblich wieder gesund. Herre berichtete, beim Erbrechen sei eine lebende Eidechse aus ihrem Körper hervorgekrochen. Das war natürlich erstunken und erlogen. Wer solche Behauptungen in die Welt setzte, hatte gewiss keine guten Absichten. Vielleicht hoffte Herre, durch ihre Anschuldigungen selbst von gewissen Gerüchten abzulenken – denn gerade ältere Witwen wie sie gerieten damals leicht in den Verdacht, mit dem Teufel im Bunde zu stehen. Die Bezichtigungen von Anna Herre blieben jedoch vorerst ohne Konsequenz.
Die Überprüfung bleibt ohne Ergebnis
Erst acht Jahre später schaltete sich die Inquisition ein und nahm eine Untersuchung vor. Wahrscheinlich hatte die Verzögerung den Holländischen Krieg als Ursache. Einquartierungen, Abgaben und Wehrpflicht übten Druck auf die Bevölkerung aus; in solchen Spannungsphasen wucherten zwar die Verdächtigungen leichter, die Behörden hatten jedoch zunächst anderes zu tun. Doch als die militärische Lage 1675/76 wieder Raum für „innere Ordnung“ zuließ, konnten zurückgestellte Fälle aufgegriffen werden – nach dem Krieg wurde „aufgeräumt“. Die Verhöre durch die Inquisition verliefen im Fall der Bader-Ann jedoch ohne greifbares Ergebnis. Die meisten Bewohner hatten nichts Konkretes gegen sie vorzubringen – außer dem allgemeinen Gerede im Ort, sie sei „keine gute Frau“. Auch ihr Nachbar, der Maurer Matthias Allgaier, bestätigte lediglich diesen Ruf. Es trat aber auch niemand für Anna ein, nicht einmal ihr eigener Mann oder ihr inzwischen zwanzigjähriger Sohn. Die meisten Aussagen der Stadtbevölkerung erwiesen sich als wenig brauchbar: viele erzählten von nächtlichen Erscheinungen wie schwarzen Katzen, Kröten oder Raben oder von einer schwarzen Gestalt, die nachts umhergegangen sei. Eine Frau mit gelähmten Arm gab zu Protokoll, es sei die Bader-Ann gewesen, die ihr vor 33 Jahren durch eine Berührung an der Achsel die Lähmung verursacht hätte. Auch Annas Mann, der Hufschmied Endriß, wurde befragt. Er schilderte Anna als „unausstehliche, widerwärtige und unverträgliche Person“, die ihm mehrfach entlaufen sei und ihn „als Schuldenmacher beschimpft“ habe. Niemand kam auf den Gedanken, dass vielleicht er selbst die widerwärtige und unverträgliche Person gewesen war, die womöglich auch noch trinkfest und tatsächlich verschuldet war. Endriß gab sogar an, er habe Anna „oft geschlagen wie einen Ochsen“. Man stelle sich vor, was die arme Anna in der 24 Jahre andauernden Ehe mit dem Hufschmied über sich ergehen lassen musste.
Da die Aussagen wenig stichhaltig waren, stellte die Inquisition die Verdachtsfälle ein. Wieder vergingen vier Jahre, bis sich im Jahr 1680 unerwartet Annas Nachbar, der Maurer Matthias Allgaier, wieder zu Wort meldete. Hatte er damals beim Verhör nichts Böses über Anna vorbringen können, erklärte er diesmal, seine Frau habe eine schwere Kopfkrankheit erlitten – vermutlich eine Art infektiöse Entzündung, etwa ein Abszess mit Blutvergiftung –, die sie binnen weniger Tage dahinraffte. Er machte dafür die Bader-Ann verantwortlich und setzte die Stadtregierung unter Druck, indem er wiederholt vorstellig wurde und unablässig Anklage gegen sie erhob. Nun hatte die Stadt ein handfestes Indiz: Schadenszauber. Auf Grundlage dieses Vorwurfs konnten sie Anna einkerkern. Gegen ein Uhr in der Früh wurde Anna auf dem Heimweg vom Stadtknecht erkannt, er nahm sie fest und im Rathaus eingekerkert. Sie war zu diesem Zeitpunkt gerade von einer Pflegetätigkeit aus der Nachbarortschaft zurückgekehrt.
Der Nachbar beschuldigt Anna des Schadenszaubers
Warum meldete sich der Maurer Matthias vier Jahre nach seiner Befragung durch die Inquisition plötzlich wieder zu Wort und richtete seine Anschuldigungen nun doch gegen Anna? Was brachte ihn dazu, sich so grundlegend anders zu äußern als zuvor? Möglicherweise wollte er von sich selbst ablenken, weil er seiner Frau die Kopfverletzung in Wahrheit selbst zugefügt hatte und nun die Bader-Ann als Sündenbock brauchte. Ebenso lässt sich nicht ausschließen, dass statt Matthias sein 20-jähriger Sohn Paul in die bis heute ungeklärten Vorfälle im Hause Allgaier verwickelt war. Aus den Prozessakten ergibt sich jedenfalls der Eindruck, dass sich im Haus etwas Unerklärliches zugetragen haben muss: Paul gab nämlich zu Protokoll, er habe den Verstand verloren, als die Bader-Ann ihn angehaucht hätte. Daraufhin wäre er aggressiv geworden und musste mehrere Tage lang schwer krank das Bett hüten.
Die Gemeinschaft und der Sündenbock
Gerüchte können töten. Seit jeher bedienen sich Menschen ihrer, um eigene Schwächen, Fehler oder Schuld zu verbergen. Fast scheint es, als brauche jede Stadt, jedes Dorf einen Sündenbock – als bräuchten die Menschen ein Ziel, auf das sie ihre eigene Schuld und Scham projizieren konnten.
Ann wurde innerhalb von 4 Wochen 10 Mal schwer gefoltert, für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Fürst Maximilian von Hohenzollern-Sigmaringen, der Erbfolgeprinz und Sohn des Fürsten Meinrad I. von Hohenzollern-Sigmaringen begnadigte Anna Kramer zum Tode durch das Schwert anstatt des Verbrennens bei lebendigem Leib. Anna ist heute auch unter dem Namen „Fastnachtshexe[2]“ bekannt. Sie hatte zur Fastnacht geheiratet und wurde auch zur Fastnacht hingerichtet.
„Niemandem ist es erlaubt, zu weissagen; andernfalls wird an ihm das rächende Schwert die Todesstrafe vollziehen.“
Codex Iustinianus, Kaiser Justinian I
Literatur über Anna Kramer:
Das Folterhemd der Anna Kramer – nationalgeographic.de
Die Geschichte der Bader-Ann – Sauerland Museum Blog
Die Baderann von Veringenstadt, Verein für Geschichte und Altertumskunde in Hohenzollern: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Altertumskunde, S. Locher
Quellen:
[1] Anna Kramer, Bader-Ann, wikipedia.de
[2] Fastnachthexe, wikipedia.de