Dieser eine Fall, der nach Jahrhunderten der Hexenverfolgung das Fass zum Überlaufen brachte
Opfer der Hexenprozesse in der Schweiz
Die Dienstmagd und zweifache Mutter Anna Göldi („Die Göldin“) aus Sennwald, heute Kanton St. Gallen, wurde der Hexerei bezichtigt, gefoltert und am 13. Juni 1782 in Glarus durch das Schwert hingerichtet. Der Fall wurde einer Pressezensur unterworfen, erregte damals dennoch großes Aufsehen in der Schweiz und in Deutschland und wird heute als Beispiel für Machtmissbrauch und Justizwillkür betrachtet.

⛤ 13. Juni 1782, Schweiz
Für eine Hexenverfolgung war es im Jahr 1782 schon reichlich spät. Die Aufklärung zog schon seit ca. 1700 ihre Bahnen, und an Hexen glaubte in der Epoche der rationalen Vernunft niemand mehr. Viele Führungsfiguren hatten sich in dieser Zeit bereits den Idealen der Aufklärung verschrieben.
Der Malleus Maleficarum stand bereits seit mehr als 100 Jahren auf dem Index der verbotenen Bücher der römisch-katholischen Kirche (Index Librorum Prohibitorum). Voltaire hatte bereits vor rund 50 Jahren gegen religiösen Fanatismus gestritten und Montesquieu schon vor rund 30 Jahren das Prinzip der Gewaltenteilung begründet. Es war die Zeit, in der Immanuel Kant gerade seine Kritik der reinen Vernunft veröffentlicht hatte.
Trotz des weit fortgeschrittenen Zeitalters der Aufklärung waren Vorstellungen von Hexerei und deren strafrechtlicher Verfolgung in den Köpfen vieler Menschen noch tief verwurzelt. Es war ja auch zu einfach. Viele Bürger hatten sich nach Jahrhunderten der Hexenverfolgung bereits daran gewöhnt, und es hatten sich Strategien etabliert, mit deren Hilfe man unliebsame Personen durch den Vorwurf der Hexerei aus dem Weg räumen konnte. Der Aberglaube diente dabei nicht selten als willkommenes Werkzeug für soziale, politische oder persönliche Abrechnungen. Dazu kam, dass in einigen alten Rechtstexten die Bestimmungen gegen Zauberei oder „Gotteslästerung“ noch nicht ausdrücklich abgeschafft waren. Diese wurden jedoch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kaum mehr angewandt – mit wenigen Ausnahmen. Eine davon war Anna Göldi.
Anna wurde der Hexerei verdächtigt, gefoltert und zum Tode verurteilt. und das zu einer Zeit, in der die Obrigkeiten längst wussten, dass ein solcher Vorwurf in der Öffentlichkeit auf Widerstand stoßen würde. Aus diesem Grund vermied man im Urteil ganz bewusst Begriffe wie „Hexe“ oder „Hexerei“, obwohl ihr unter anderem vorgeworfen wurde, ein Kind durch Verzauberung geschädigt zu haben. Verurteilt wurde sie letztlich formal als Giftmörderin.
Es war ein deutscher Journalist, der den Stein ins Rollen brachte. Während der Fall in der Schweiz geheim gehalten wurde, publizierte er ihn in Deutschland. Dies führte dazu, dass zahlreiche weitere deutsche Journalisten die Verurteilung öffentlich kritisierten. Die Leute hatten endlich die Nase voll von der wahnhaften Justiz und den Beschuldigungen, die mehr einem Märchen glichen als einem juristischen Tatbestand. Zu den Prozessakten kam Lehmann über den Schweizer Gerichtsschreiber Johann Melchior Kubli, welcher sich schon während des Prozesses für Anna eingesetzt hatte. Dass es Kubli war, der die Informationen herausgegeben hat, konnte erst Jahrzehnte nach dem Tod von Lehmann aufgedeckt werden. Unter den Journalisten herrschte eine eiserne Mauer des Schweigens.
Endlich sah man genauer hin, und kam auf die Erkenntnis, dass der Prozess und die Hinrichtung von Anna Göldi – so wie die meisten Hexenprozesse – von gravierenden Rechtsverstößen geprägt waren. Die Anklagepunkte selbst waren konstruiert. In Wahrheit wollte jemand Annas Affäre mit ihrem Dienstherrn nicht hinnehmen. Vermutet wird ein Erbschaftsstreit. Anna hatte ein uneheliches Kind mit ihrem Dienstherren, welches in fremde Obhut gegeben wurde.
Aber was auch immer unternommen wurde, um gegen die Justiz vorzugehen, Anna half dies alles nichts mehr. Sie wurde trotz der öffentlichen Empörung, der aufkommenden Kritik aus dem Ausland und der offenkundigen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verfahrens hingerichtet. Im Rahmen der Aufarbeitung der Geschehnisse rund um Anna Göldi prägte der deutsche Historiker und Staatsrechtler August Ludwig von Schlözer das Wort „Justizmord“. Anna ist als eines der letzten Opfer der Hexenverfolgungen in Europa in die Geschichte eingegangen.
„Wer überführt wird, oder wer seine Tat leugnet, der sei dem Folterknecht übergeben; sein Leib werde zerfleischt von der »Kralle« und so büße er die seiner Tat entsprechende Strafe – Codex Iustinianus.„
Heinrich Kramer, Malleus Maleficarum, 1486
Literatur zu Anna Göldi:
Anna Göldi Museum Schweiz
Anna Göldi – Lebendige Traditionen Schweiz
Buch: Anna Göldi und Rudolf Steinmüller: Die „letzte Hexe“ und ihr „Komplize“, Übersicht über die Prozessakten – von Kathrin Utz Tremp