„Beobachte den Mond in all deinem Tun.“ Lemegeton
Die vorchristlichen Frauen Europas – Heilerinnen, Hebammen und Seherinnen – lebten in ländlichen Gemeinschaften, die stark vom Rhythmus der Natur geprägt waren. Ihre Feste, die sich nach diesem natürlichen Rhythmus richten, feiern wir in Europa noch heute.
Sonne und Mond beeinflussen das Erleben der Menschen in tiefgreifender Weise. Die Sonnenwenden (Sommer und Winter) und die Tagundnachtgleichen (Frühling und Herbst) markieren die Übergänge zwischen diesen Jahreszeiten. In vielen Traditionen ist der Jahreslauf auch heute noch im Mondkalender verankert. Viele richten ihre Feste nach bestimmten Mondphasen aus. So beginnt etwa der islamische Ramadan auch heute noch mit dem ersten Sichtbarwerden der Mondsichel, und auch das Osterdatum im Christentum richtet sich nach dem ersten Vollmond im Frühling. Diese Ausrichtung am Mond ist ein Erbe vorchristlicher Zeiten, das wir bis heute immer noch leben.

Für eine Erdumdrehung benötigt der Mond rund 28 Tage. Ein Mondmonat beginnt mit einem Vollmond und endet am Tag vor dem nächsten. Der Vollmond nimmt ab Tag 2 des neuen Monats ab, erscheint nach rund 7 Tagen als Halbmond und verschwindet am Tag 14 vollständig – man spricht an diesem Tag vom Neumond. Einen Tag später nimmt er wieder zu, ist ab Tag 7 ein zweites Mal als Halbmond sichtbar, und wird innerhalb von 14 Tagen wieder zum Vollmond. An exakt diesem Tag beginnt Tag 1 des nächsten Mondmonats. Unser gregorianischer Kalender richtet sich nicht (mehr) nach den Mondphasen, sonst würde jeder Vollmond auf den ersten Tag, die beiden Halbmonde immer auf den siebten und 21. Tag und jeder Neumond auf den 14. Tag des Monats fallen.
Das zyklische Denken der vorchristlichen Frauen spiegelte sich in acht Jahreskreisfesten wider: Den vier Sonnen- und den vier Mondfesten. Die vier Mondfeste – Samhain, Imbolc, Beltane und Lughnasadh – markieren die Mitte zwischen Sonnenwende und Tagundnachtgleiche. Sie werden als Mondfeste bezeichnet, weil sie sich an den Mondphasen orientieren. In der heutigen Zeit feiern viele Menschen die Mondfeste aber nicht mehr zu Vollmond, sondern parallel zu den offiziellen Feiertagen.
Imbolc / Mariä Lichtmeß
Imbolc wird in der Nacht zum 1. Februar gefeiert. Es ist Ende des Winters und der Tag der Kerzenweihe. Traditionell wird das Fest exakt zum 2. Vollmond des Jahres gefeiert. In Europa feiern noch heute viele Menschen Imbolc, auch wenn sie es eher als Mariä Lichtmeß kennen.
Walpurgis / Beltane / Maifest
Walpurgis wird am 1. Mai gefeiert. Es ist der Beginn der warmen Jahreszeit und das Fest des Lebens. Traditionell wird das Fest exakt zum 5. Vollmond des Jahres gefeiert. In Europa feiern noch heute viele Menschen Walpurgis, auch wenn sie es eher als „Maibaumaufstellen“ kennen.
Lugnasadh / Erntedankfest
Lughnasadh wird am 1. August gefeiert. Das Fest feiert die erste Getreideernte und ehrt die Gaben der Natur. Traditionell wird das Fest exakt zum 8. Vollmond des Jahres gefeiert. In Europa feiern noch heute viele Menschen Imbolc, auch wenn sie es eher als Erntedankfest kennen.
Samhain / Allerheiligen, Allerseelen
Samhain wird in der Nacht zum 1. November gefeiert. Es ist der Beginn der dunklen Jahreszeit und der Gedenktag der Toten. Traditionell wird das Fest exakt zum 11. Vollmond des Jahres gefeiert. In Europa feiern heute noch immer viele Menschen Samhain, auch wenn sie es eher als Allerheiligen oder Allerseelen kennen.
Keltische Feste sind das vorchristliche Erbe West- und Mitteleuropas
Die vier Mondfeste sind keine moderne Neuschöpfung. Der früheste schriftlich belegte Hinweis auf Imbolc, Walpurgis, Lughnasadh und Samhain stammt aus dem irisch‑keltischen Mittelalter (10. Jahrhundert). In der altirischen Erzählung Tochmarc Emire(1) („Das Werben um Emer“) werden diese vier Feste genannt und in Zusammenhang mit der sozialen Ordnung gesetzt. Das heißt, dass um das Jahr 900–1000 n. Chr. diese vier Feste in das soziale Leben der frühmittelalterlichen irischen Gesellschaft eingebunden waren.
„Von Bel-dine, also Bealtaine bis zu Brón Trogain; das heißt: bis zum Beginn des Herbstes.“
Tochmarc Emire
Wenn die vier Mondfeste bereits im 10. Jahrhundert erwähnt werden, spricht vieles dafür, dass ihre Ursprünge erheblich älter sind. Die schriftliche Aufzeichnung in mittelalterlichen Manuskripten ist meist nur das letzte Glied in einer langen mündlichen Überlieferungskette. Die Druiden und die Barden dürften solche Feste bereits über viele Generationen hinweg gefeiert haben.
Ein weiterer, wenn auch indirekter Beleg findet sich bei Beda Venerabilis (⛤ 735 n. Chr.), einem angelsächsischen Mönch, der in seinen Schriften beschreibt, dass der Novemberbeginn für die germanischen und keltischen Völker mit „heiligen Nächten“ verbunden war – was auf ein vorchristliches Ahnenfest (Samhain) deutet.
Archäologische Hinweise deuten ebenfalls darauf hin, dass es sich bei diesen Festen nicht um Neuerfindungen handelt. Die Feste gab es tatsächlich. Das einzige, das es nicht gab, ist die moderne Interpretation der Feste als „Jahresrad“. Diese geht auf den Wicca‑Vertreter Gerald Gardner zurück.
Obwohl die Bezeichnung „Jahreskreisfeste“ und die Achtteilung kein historisch belegtes System der Kelten oder Germanen darstellt, beruht sie auf realen traditionellen Festzeiten, die später zu einem geschlossenen Jahresrad geformt wurden.
Quellen:
(1) Tochmarc Emire, University College Cork, Ireland
Beitragsbild: KI