Wie Rumäninnen trotz aller Widrigkeiten ihre sprituelle Kultur bewahrten
13.08.2025
Unter dem kommunistischen Regime in Rumänien wurde staatlich-ideologische Kontrolle zu einem Werkzeug der Macht. Atheistische Parteipolitik entwertete spirituelle Traditionen als „Aberglauben“[1]. Sie sollten durch „die Wissenschaft“ ersetzt werden. Damit geriet das urweibliche Instinktleben unter Druck. Doch trotz massiver politischer Unterdrückung bewahrten die Frauen ihre Traditionen. Über spirituelle Heilkunst und Rituale, die das Regime nicht auslöschen konnte.
Spiritualität und Heilkunst sind seit Jahrtausenden eng mit dem Weiblichen verbunden. In nahezu allen Kulturen dieser Welt waren es Frauen, die als Hüterinnen des Wissens um Geburt, Leben, Heilpflanzen und die Zyklen der Natur galten. Dieses „Urweibliche“ – das intuitive, nährende, verbindende Element – findet seinen Ausdruck in der Fähigkeit, Körper, Seele und Gemeinschaft durch symbolische Handlungen zu stärken. Wer dies unterdrückt, der unterdrückt Formen der weiblichen Identität. Es bedeutet, Frauen ihrer traditionellen Rolle zu berauben – und damit ihre innere Stärke und gesellschaftliche Bedeutung zu schwächen.
Gefährliche Tradition
Die kommunistische Partei Partidul Comunist Român (PCR) verfolgte das Ziel, Kultur und Bildung zentral zu kontrollieren und ideologisch konforme Inhalte zu fördern[1]. Traditionelle Praktiken, die vor allem von Frauen ausgeübt wurden, wurden als rückständig stigmatisiert, delegitimiert und aus dem öffentlichen Leben verdrängt. Ethnographische Forschung sollte zu dieser Zeit nur Protochronismus fördern – ein nationales Narrativ, das Spiritualität als „Aberglauben“ ausschloss[2].
Damit unterdrückte das Regime jedoch in Wahrheit die Weiblichkeit selbst. Es ging nicht allein um die Auslöschung „abergläubischer“ Bräuche, sondern um die Kontrolle darüber, was eine Frau ist, wie sie sein soll, wie sie sich zu verhalten hat und welche Rolle sie in der Gesellschaft einnehmen darf. Diese Kontrolle erstreckte sich bis hin zu ihrer Sexualität und ihrem körperlichen Ausdruck[6]. Indem das Urweibliche zum Schweigen gebracht wurde, versuchte man, Frauen auf ein staatlich definiertes, kontrollierbares Rollenbild zu reduzieren – entmachtet in ihrer ureigenen Kraft und Autonomie.
„Die Wissenschaft“ als Helfer der Unterdrückung
Ethnographen, Folkloristen und Sozialwissenschaftler wurden zu Werkzeugen des Regimes. Frauenforschung wurde instrumentalisiert, kulturelle Inhalte wurden umgeschrieben. „Die Wissenschaft“ sollte alles „Unnütze“ verdrängen und nur nützliche, ideologisch gebändigte Aspekte zeigen. Individuelle Spiritualität war unerwünscht. Die Anthropologin, Musikwissenschaftlerin und unabhängige Forscherin Speranța Rădulescu[3] beschrieb den im kommunistischen Rumänien staatskonform inszenierten Folklorismus so: „Ideologisch konformistisch, künstlich und laut“. Damit trat sie gegen den zentralistischen und propagandistischen Umgang mit Volkskultur an.
„The Unbinding“: Ana Herbels geheimes Ritual im Film, den es im Kommunismus nicht geben durfte
Radu Răutu, ein Ethnograph, drehte in den späten 1960er Jahren heimlich mit einem staatlich genehmigten Filmteam einen Dokumentarfilm über das Ritual „Unbinding“[4] – ein magisch-spirituelles Heilritual – entgegen der offiziellen Ideologie. Gemeinsam mit dem staatlichen Sahia-Filmstudio filmte er die Rituale von Ana Herbel, einer Heilerin und Seherin aus Vadul Izei, die trotz Verbots öffentlich praktizierte.
„Unbinding“ – auf Deutsch etwa „Lösen“ – ist eine Form traditioneller rumänischer Ritualmagie, die vor allem im ländlichen Raum praktiziert wurde – oft von Frauen, die in der Gemeinschaft als Heilerinnen oder „Hexen“ (vrăjitoare) galten. Es basiert auf dem Glauben, dass eine Person verflucht, also „gebunden“ werden kann – im übertragenen Sinn gefesselt durch negative Energien, die durch Neid, Hass oder Eifersucht einer anderen Person entstanden. Dieses „an jemanden Binden“ wurde als Ursache für unerklärliche körperliche Beschwerden, psychische Belastungen oder plötzliches Unglück gesehen. Das Ritual wurde durchgeführt, wenn jemand Symptome oder Probleme zeigte, die man sich nicht erklären konnte – zum Beispiel plötzliche Krankheit, Schwäche, Schwindel, Kopfschmerzen oder ein allgemeines Gefühl, „wie gelähmt“ zu sein. Vor allem dann, wenn die betroffene Person oder ihre Umgebung den Verdacht hatte, dass dies durch die Missgunst eines anderen Menschen ausgelöst wurde, galt das „Entbindungs-Ritual“ als Mittel, um die negativen Energien zu lösen.
Im Film sieht man die Heilerin Ana Herbel in ihrem Haus, reich geschmückt mit orthodoxen Ikonen, die Patientin krank im Bett, umgeben von Ritualgegenständen wie Kohle, Messer, Kräuter und den zusammengebundenen Ästen eines Himbeerstocks. Bei der symbolischen Reinigung geht die nackte Patientin durch einen Kreis aus Himbeerzweigen wie durch ein Tor – ein Symbol für Geburt, Reinheit, Neubeginn.
Unbeirrbar der eigenen Kultur verpflichtet
Ana Herbel blieb im Dorf unter dem Radar, praktizierte im Verborgenen, lernte Behörden zu ihren Gunsten zu nutzen und präsentierte ihre Kunst nicht widerständig, sondern im Rahmen einer Tradition, die nach äußerlichen Gesichtspunkten dem nationalen Narrativ folgte. Ihre Haltung war nach außen zurückhaltend, aber innerlich unbeugsam.
Ana Herbel ließ sich ihren Glauben und die uralten Familientraditionen nicht von jemandem nehmen, der meinte, mit seiner Politik über Generationen gelebte Werte auslöschen zu können. Viel zu oft hatte das rumänische Volk schon wechselnde Herrscher und Ideologien über sich ergehen lassen müssen. In Transsilvanien hatten einst die muslimischen Osmanen ihren Einflussbereich bis tief ins Land ausgedehnt, bevor die katholischen ungarischen Könige und Adelsfamilien die Macht innehatten. Danach prägten die protestantischen Sachsen mit ihrem städtischen Bürgertum viele Regionen, während zeitweise auch die unitaristischen Herrscher an Einfluss gewannen. Später kamen die habsburgischen Kaiser mit ihrer zentralistischen Verwaltung, ehe im 20. Jahrhundert das Land erst Monarchie, dann unter wechselnden autoritären Regierungen stand – und schließlich in die eiserne Hand der Kommunisten unter Gheorghiu-Dej und Ceaușescu fiel. Die einzige Tradition mit Bestand waren die Bräuche der griechischen Antike, zu denen eben vor allem rituelle Handlungen gehörten.
Es gab kaum eine Macht, die nicht schon einmal versucht hätte, ihre patriarchalen Vorstellungen von Religion, Gesellschaft und Kultur den Menschen aufzuzwingen. Doch jede dieser Herrschaften ging vorbei. Diese Erfahrung hat das rumänische Volk gelehrt, unter der Oberfläche an den eigenen Traditionen festzuhalten – gleichgültig, welche Fahne gerade über den Palästen wehte.
Politik einst wie heute
In heutigen wissenschaftlichen, medialen und gesellschaftlichen Diskursen wird Spiritualität häufig belächelt oder delegitimiert. Köln, Wien, Leipzig wie Zürich verkennen, dass sie damit nicht nur „Quacksalber“ unterdrücken, sondern traditionelle spirituelle Wege, die Frauen in ihrer Identität stärken. Die heutige Dominanz des rationalen, wissenschaftlichen Ansatzes reproduziert Strukturen, die einst dem Kommunismus vorbehalten waren[5].
Weiblichkeit und Spiritualität gehören zusammen – und können durch nichts unterdrückt werden. Frauen haben durch Wissenstradition und innere Stärke ihre Spiritualität bewahren können – selbst in den repressivsten Systemen. Das ist nicht nur historisches Zeugnis, sondern auch ein Appell: Für eine Zukunft, in der Spiritualität und Wissenschaft sich begegnen, sich bereichern und ein ganzheitliches Menschsein – nicht nur den Frauen – ermöglichen.
Quellen:
[1] Anti-Religious Campaign in communist Romania, wikipedia
[2] Review Of „Secrets And Truths: Ethnography In The Archive Of Romania’s Secret Police“, K. Verdery, works.swarthmore.edu
[3] Speranța Rădulescu, wikipedia
[4] Alexandra Coțofană, Documentary Film and Magic in Communist Romania, researchgate
[5] Women’s Everyday Life in Communist Romania: Case Studies, researchgate
[6] From Romanian Communism to Capitalism: the Representation and Ideology of Women’s Bodies, metacriticjournal.com
Bild: KI