Die Meisterin der Geschichten
Opfer der ersten Hexenverfolgung in Transsilvanien
30.07.2025
Die ungarischstämmige Hebamme, Javas-Frau[5], Mutter und Witwe Clara Bochÿ (auch: Bóci, Boczj oder Botzi) aus Klausenburg (ung. Kolozsvár, rum. Cluj-Napoca) wurde der Hexerei bezichtigt, inhaftiert, gefoltert und hingerichtet.

Hoheitsgewalt: Johann Sigismund Zápolya, Johann II, König von Ungarn
Herrschaftsform: Erb- bzw. Wahlmonarchie, Osmanischer Vasallenstaat
Landesherrschaft: –
Reichszugehörigkeit: formell Länder der Krone Ungarn, de facto jedoch ein vasallenstaatliches Fürstentum unter osmanischem Schutz
Reichskreiszugehörigkeit: –
Höchste kirchliche Autorität: Die römisch-katholische Kirche hätte formal diese Rolle inne – doch faktisch war dies 1565 nicht mehr zentral, da religiöser Pluralismus existierte (kath., luth., calv., unitarisch).
Höchste regionale kirchliche Autorität: Der unitarische Superintendent Ferenc Dávid, ab 1564 Theologe und 1568 Gründer der unitarischen Kirche, war in Klausenburg kirchlich einflussreich.
Höchste weltliche Autorität: Der osmanische Sultan
Höchste regionale weltliche Autorität: Der Transylvanische Landtag (Diet), bestehend aus ungarischen Adligen, Sachsen und Szeklern
Weitere Beteiligte: Ankläger Péter Gruz (Schneider und „Hexenjäger“)
Clara Bochÿ war eine starke Frau. Mit ihrer selbstbewussten, überlegenen Art und ihren schneidenden Worten verschaffte sie sich Respekt. Viele Bürger aus Klausenburg hatten Angst vor ihr, vor ihrer Selbstgewissheit, vor dem, was sie wusste. Und Wissen besaß sie tatsächlich – denn Clara verfügte über eine Fähigkeit, die im 16. Jahrhundert nur wenigen Menschen, schon gar keinen Frauen, zuteilwurde: Sie konnte lesen.
Wäre Clara ein Mann mit politischer Macht gewesen, würden wir ihre Persönlichkeit heute bewundern – als durchsetzungsstark, charismatisch und unbeirrbar. Bei Männern galt es seit jeher als Zeichen von Stärke, wenn sie prahlten, dominierten und andere einschüchterten, um sich durchzusetzen. Bei Frauen hingegen gelten dieselben Eigenschaften als anmaßend, unsympathisch, unmoralisch und unweiblich. Ja, Clara war eine Frau, die mit einer Macht spielte, vor der sich viele fürchteten – doch sie hat für all das auf eine Weise gebüßt, die kein Mensch verdient: Sie endete auf dem Scheiterhaufen. Ihr Schicksal bleibt eine Mahnung – dafür, wie wenig Raum es bis heute für weibliche Autorität gibt, wenn sie sich nicht lächelnd und gefällig gibt.
Clara Bochÿ war eine verwitwete Frau mittleren Alters, wohnhaft in der Magyar-utca (heute Strada Memorandumului) in Klausenburg. Sie war eine Hebamme und eine Javas-Frau[1], eine volkstümliche Heilerin und Seherin mit guten Kenntnissen von Kräutern, Beschwörungsformeln und Liebesmitteln. Heute ist der Begriff „javas“ negativ als „Kurpfuscherei“ konnotiert. Ein Beispiel dafür, wie weibliches Wissen und uralte europäische Traditionen unterdrückt werden. Zeitzeugen beschreiben Clara als sprachgewandt und stolz auf ihr „doppelt nützliches Wissen“ – sie konnte sowohl schaden als auch heilen – und im ständigen Konkurrenzkampf mit anderen städtischen Baben (Hebammen) um zahlungskräftige Kundschaft.
Was Clara ebenso gut beherrschte wie ein Politiker, war das Erzählen von Geschichten. In ihrer Zeit war sie vielleicht die eindrucksvollste Erzählerin weit und breit – wortgewandt, bildreich, überzeugend. Das war ihre eigentliche Stärke. Man kann das kritisieren oder bewundern, doch eines steht fest: Richtig eingesetzt, ist Erzählen eine Form von Macht, die Menschen beeinflusst. Clara Bochÿ wusste das. Und sie hatte Geschichten zu erzählen, die noch heute fesseln.
Clara lebte in einem kulturellen Umfeld, in dem Erzähltradition und spirituelle Praktiken tief verwurzelt waren. Viele alte römisch-griechische Vorstellungen und Riten blieben im rumänischen Volksglauben lebendig und wurden über Generationen hinweg erzählt, praktiziert und weiterentwickelt. Während ähnliche Praktiken im katholisch geprägten Mitteleuropa verteufelt wurden, konnten sie in Rumänien frei praktiziert werden. Das lag nicht zuletzt an der orthodoxen Kirche, die volkstümlichen Bräuchen gegenüber eine größere Toleranz zeigte als die römisch-katholische. In dieser Welt wuchs Clara auf – und sie wusste, wie man daraus Geschichten machte, die wirkten.
So erzählte Clara zum Beispiel Geschichten von Lemuren – ruhelosen Totengeistern, wie sie bereits in der römischen Antike beschrieben wurden. Es waren die Seelen von Verstorbenen, denen entweder ein ordnungsgemäßes Begräbnis versagt geblieben war oder die keine Nachkommen hatten, die für sie Opfer darbrachten. Diese Geister fanden keine Ruhe und kehrten, so glaubte man, unter die Lebenden zurück. Clara wusste diese Vorstellungen mit eigentümlichem Detailreichtum zu erzählen. Wenn man, so sagte sie einmal zu einem ihrer Kunden, den Verdacht habe, jemand sei ein Lemur, solle man heimlich beobachten, wo dieser uriniere. Sobald der Lemur sei, sollte man auf genau diese Stelle heiße Asche streuen. Damit, so versicherte sie, werde der Lemur gebannt. Eine Erzählung, die auf eine lange Tradition magischer Praktiken zurückgreift, in der Körperausscheidungen als Mittel zur Bannung eingesetzt wurden. Der Glaube, dass sich in den Körperflüssigkeiten Macht oder Wahrheit verbirgt, war weit verbreitet – und Clara, die als Hebamme und Heilerin ohnehin täglich mit Urin, Kot und Blut zu tun hatte, machte daraus eine alltägliche Anwendung. Sie behauptete sogar, dass sich in ihrem eigenen Haus Lemuren aufhielten, die mit ihr aßen. Auch das war Teil ihrer Geschichte: eine Welt, in der Tote unter den Lebenden wandelten und mit ihr am Tisch saßen.
Ebenso fantastisch ist die Geschichte, sie habe Schlangen gegessen – und dadurch die Fähigkeit erlangt, mit Fröschen, Schlangen und anderen Tieren zu sprechen. Seitdem könne sie ihre Stimmen auf Feldern und Wiesen hören, könne verstehen, was sie dächten, und sehe alles, was sie sähen. Diese Gabe, so sagte sie, habe ihren Ursprung in einer Reise nach Großwardein (heute Oradea, ungarisch Nagyvárad, lateinisch Magnovaradinum), wohin sie einst gegangen sei, um sich selbst heilen zu lassen. Während ihres Aufenthalts dort habe sie den Haushalt der Familie, bei der sie lebte, besonders reinlich und ordentlich geführt, woraufhin die Herrin des Hauses ihr großes Vertrauen geschenkt habe. Eines Tages habe diese ihr eröffnet, sie könne – wenn sie es wolle – ebenso wissend werden wie ihr Ehemann. Doch es gebe eine Bedingung: Sie müsse heimlich vom Essen des Hausherrn kosten, dessen Mahlzeiten aus Schlangenfleisch zubereitet wurden. Da die Schlangen jedoch exakt abgezählt gewesen seien, habe Clara keinen eigenen Teller bekommen können – also habe sie sich mit den Resten begnügt. Als der Hausherr dies bemerkte, habe er sie unter Eid stellen lassen, das erlangte Wissen für drei Jahre nicht anzuwenden. Erst danach, als sie in den Hof gegangen sei, habe sie – ebenso wie er – begonnen, die Stimmen der Vögel und anderer Tiere klar zu verstehen. In der Folge habe er ihr ein Buch übergeben, das sie bis heute besitze. Sie habe sogar ihre eigenen Mädchen daraus unterrichtet. Denn wenn sie dieses Buch auf dem Feld lese, so Clara, würden die Kräuter zu ihr sprechen und ihr ihre Kräfte offenbaren.
Die Vorstellung, dass Schlangen einem Menschen die Fähigkeit verleihen können, die Sprache der Tiere zu verstehen, ist kein isoliertes Motiv, sondern Teil einer uralten und kulturübergreifenden Erzählung[3]. In zahlreichen Mythen aus unterschiedlichsten Regionen – von Griechenland über den Balkan und Skandinavien bis nach Indien – erscheinen Schlangen als geheimnisvolle Vermittler zwischen Mensch und Tierwelt. Sie verleihen diese außergewöhnliche Gabe oft durch symbolisch aufgeladene Handlungen wie das Lecken der Ohren, die Übergabe eines Steins oder die Einnahme von Schlangenfleisch oder -gift. In nordischen und baltischen Traditionen etwa gilt der Verzehr von Schlangen seit jeher als Quelle von Heilung, Weisheit und der Fähigkeit zur Verständigung mit Tieren. Ähnliche Motive finden sich auch in deutschen, slawischen und anderen Mythen Europas – stets verbunden mit der Vorstellung, dass sich durch der Kontakt zu diesen besonderen Wesens dessen Kräfte auf den Menschen übertragen können.
Clara besaß zweifellos viele Fähigkeiten, die Anerkennung verdienen. Doch bei aller Bewunderung für ihre Fähigkeiten kann eines nicht verschwiegen werden, wenn von ihrem Leben berichtet wird: Clara hatte auch dunkle Seiten. Immer wieder nutzte sie Gelegenheiten, um ihre Hebammenkollegin und Konkurrentin Rúsa zu diffamieren. Sie erzählte ihren Kundinnen, ihre Krankheiten seien nicht natürlichen Ursprungs, sondern die Folge eines bösen Zaubers – ausgesprochen von Rúsa. Durch ihre Autorität und ihre Sprachgewandtheit glaubten ihr sicherlich viele – oder wollten es zumindest glauben. Den Respekt, den sie sich als Hebamme und Javas-Frau[1] über Jahre hinweg erworben hatte, nutzte Clara nicht nur zum Wohl ihrer Patientinnen. Sie setzte ihn auch gezielt ein, um Schwangeren Angst zu machen – etwa indem sie ihnen einredete, ihr ungeborenes Kind werde die Geburt nicht überleben, wenn nicht sie selbst als Geburtshelferin zugegen sei. So verwandelte sie Vertrauen in Druck und machte ihre Autorität zu einem Mittel der Einschüchterung.
Das erklärt auch, warum sich unter den zahlreichen Aussagen im Prozess gegen Clara kein einziger Zeuge fand, der sich klar zu ihren Gunsten äußerte. Niemand stellte sich schützend vor sie oder sprach von ihr mit ehrlicher Hochachtung. Ganz anders war dies im Fall ihrer Hebammenkollegin Prisca Kőmíves[2], über die viele Zeuginnen und Zeugen mit Respekt sprachen. Zahlreiche Stimmen bezeugten, dass Prisca ihrem Beruf mit Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit nachging und als ehrbare Frau galt – ein Bild, das im Fall Clara Bochÿ auffallend fehlte. Und dennoch: Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, müssen wir eingestehen, dass auch wir nicht nur gut sind. Wir haben lediglich gelernt, unser Selbstbewusstsein in gesellschaftlich akzeptable Formen zu kleiden, unsere Wut hinter verschlossenen Türen auszuleben und unsere Worte und Impulse so zu zügeln, dass sie nach außen hin als maßvoll gelten. Gerade deshalb sollten wir uns davor hüten, vorschnell zu richten. Denn vielleicht verlangt Claras Fall nicht nach moralischer Verurteilung, sondern nach einem tieferen Verständnis – und letztlich nach Nachsicht.
Kaum war Prisca Kőmíves[2] auf dem Scheiterhaufen verbrannt, begann im darauffolgenden Monat März schon der nächste Prozess – diesmal gegen Clara Bochÿ. Der Stadtkleinbürger und Schneider Péter Gruz, der selbsternannte Hexenjäger, trat nun mit deutlich mehr Selbstsicherheit als beim Prozess gegen Prisca auf. Anders als im vorangegangenen Fall benötigte er diesmal keine Unterstützung mehr durch Stadtdiener oder deren Ehefrauen – er erhob die Anklage persönlich. Im März 1565 brachte er ex officio eine Klage gegen Clara vor, obwohl er selbst keinerlei direkten Schaden geltend machen konnte. Ihm reichte, dass Prisca Kőmíves bei ihrer Folter Clara Bochÿ als Mitwisserin und Hexenkollegin belastet hatte – ebenso wie alle anderen städtischen Baben, die gleichzeitig Javas-Frauen[1] waren. Dazu gehörten neben Clara Bochÿ und Prisca Kőműves auch Rúsa und Gedrud.
Péter Gruz galt als notorischer Denunziant. Er hatte im selben Frühjahr bereits Prisca Kőműves[2] vor die Richter gezerrt und dabei von ihr unter Folter eine Namensliste weiterer „Mithexen“ erpressen lassen. Dass es in Rumänien kein inquisitorisches Amt gab, kam seinem Geltungsdrang nur entgegen – eine Lücke, die er nutzte, um sie durch private Initiative zu schließen. In demselben Frühjahr half Péter Gruz mit, neben Clara Bochÿ und Prisca Kőműves noch zwei weitere Frauen, Rúsa und Gedrud, zum Feuer verurteilen. Damit schuf er Präzedenzfälle, die langfristig zu institutioneller Festigung eines Gerichtsschemas (Zeugenliste → Folterfragen → Scheiterhaufen) führten, welches bis ins 17. Jh. beibehalten werden sollte.
Clara wurde am 12./13. März 1565 durch den Stadtbüttel gefoltert. Unter dem Druck der Folter gab sie zu Protokoll, dass sie eine wahre Wahrsagerin („mera phitonissa“) und die Hauptverantwortliche des Hexenzirkels sei, und dass Magdalena Futa, die Frau von Zekerces, eine Frau aus Hydelv und Rúsa Zauberinnen seien, die nachts gemeinsam mit ihr als Raben (Nocticorax) unterwegs seien.
Clara Bochÿ wurde im März 1565 vor der Kathedrale es Heiligen Michael in Cluj am Scheiterhaufen verbrannt. Bis heute, fast 500 Jahre später, wurde sie von keiner Behörde rehabilitiert. Clara Bochÿ und Prisca Kőmíves[2] zählen heute in der rumänisch-ungarischer Forschung zu den ersten belegten Opfer der Hexenverfolgung in Klausenburg – ein dunkles Lehrstück über Angst, Machtdynamiken und die Pathologisierung weiblicher Expertise.
Klausenburg (Kolozsvár), um den 12. März 1565
Urteil, das die Verbrennung an dem gewohnten Ort anordnet
„Da die Zeugen klar und eindeutig aussagen und bestätigen, dass diese Frau das göttliche Gebot missachtet und sich der Zauberei bedient sowie Menschen vergiftet und ohne Scheu Beschwörungen angewandt hat, wurde geurteilt, dass sie an den gewohnten Ort geführt und durch Feuer verbrannt werde.“
Kolozsvári boszorkányperek 1564–1743, S. 61
Quellen:
[1] Javas, Ungarische Elektronische Bibliothek
[2] Prisca Kőmíves, weiberkraft.com
[3] Schlangen, die Tiersprache verleihen, snakecult.net
[4] Tóth G. Péter és Németh Ildikó, Kolozsvári boszorkányperek 1564–1743, 2011, S. 61
[5] Die Javas-Frauen (Javasasszony), weiberkraft.com
Weiterführende Literatur zu Clara:
Klaniczay Gábor: Boszorkányság, boszorkányok, Gábor Klaniczay: Hexerei, Hexen, www.origo.hu
Hexenverfolgung in Rumänien, weiberkraft.com
Bild: KI