In Wiener Neustadt kamen Beschuldigungen zwar über einen langen Zeitraum hinweg vor, tatsächliche Prozesse fanden jedoch in einem deutlich geringeren Umfang statt. Für den Zeitraum von 1435 bis 1744 (309 Jahre), sind insgesamt 27 Fälle dokumentiert, in denen Personen der Hexerei beschuldigt wurden. In mindestens zwölf dieser Fälle kam es zu einem offiziellen Gerichtsverfahren.
Sowohl Frauen als auch Männer waren von der Hexenverfolgung in Wiener Neustadt betroffen. Mehr als die Hälfte der beschuldigten Personen waren Frauen (16 Frauen und 11 Männer). In neun Fällen kam es zur Anwendung von Folter, das entspricht rund 33%. Bei vier Beschuldigten kam es nicht zur Anklage. Drei Personen wurden aus der Stadt verbannt, darunter zwei Frauen und ein Mann.
In nur wenigen Fällen endete das Verfahren mit einer Hinrichtung: Von 27 dokumentierten Beschuldigten wurden drei Personen hingerichtet: zwei Frauen und ein Mann (Apollonia Schlemer, Ruprecht Schlemer und Afra Schick). Zwei weitere Angeklagte (Michael Gsöllner und eine unbekannte Frau) verstarben im Kerker. In einem Fall wurde ein Mann lediglich zu einer Geldstrafe verurteilt.
27 Beschuldigungen, davon 16 Frauen und 11 Männer
9 Torturen, davon 4 Frauen und 5 Männer
4 Freisprüche, davon 3 Frauen und 1 Mann
3 Verbannungen, davon 2 Frauen und 1 Mann
3 Hinrichtungen, davon 2 Frauen und 1 Mann
2 Menschen sind im Kerker verstorben, 1 Frau und 1 Mann
1 Geldstrafe, 1 Mann
Der erste dokumentierte Fall einer Anklage wegen Zauberei in Wiener Neustadt betrifft Regina Lerich im Jahr 1435. Sie wurde wegen Nekromantie schuldig gesprochen. Ihr wurde vorgeworten, die Totenhauben dreier Hingerichteten gestohlen zu haben. Regina Lerich wurde lediglich aus der Stadt verbannt. Folter und Hinrichtung waren im 15. Jahrhundert noch nicht gängige Praxis, erst 51 Jahre später, im Jahr 1486, erschien der Malleus Maleficarum, der die Verfolgung, Folter und Hinrichtung mutmaßlicher Hexen systematisierte.
Eine Person, der Wahrsager Urban Graf, wurde zur Gänze verschont. Dies verdankte der Beschuldigte vermutlich der Zeit, in der sich der Vorfall ereignete. Ab den 1680er-Jahren begannen in einzelnen Territorien immer mehr Gelehrte und Juristen verstärkt Zweifel an der Legitimität von Hexenprozessen zu hegen. Möglicherweise gehörten Teile der Wiener Neustädter Obrigkeit dazu.
Neben dem Schadenzauber, auf den sich die meisten Beschuldigungen bezogen, scheint im Wiener Neustadt des 17. Jahrhunderts, das Wahrsagen mit Kristallkugel besonders beliebt gewesen zu sein. In vier dokumentierten Fällen wird ausdrücklich von „Kristallen“ gesprochen. Unter den Beschuldigten befanden sich Urban Graf, Michael Gsöllner und Afra Schick. Letztere wurde zudem wegen Kräuterheilkunde verurteilt.
Die erste Hinrichtung einer Hexe fand im Jahr 1562 statt – es war eine Doppelhinrichtung und betraf Ruprecht und Apollonia Schlemer. Die letzte Hinrichtung in Wiener Neustadt fand im Jahr 1671 statt, jene von Afra Schick.
Ein besonders grausamer Fall ist jener von Afra Schick, der sich im Jahr 1671 ereignete. Sie wurde nicht nur lebendig auf dem Scheiterhaufen verbrannt, sondern man band ihr zuvor noch Schießpulver um den Körper – eine herausragend grausame Hinrichtungspraxis in der Geschichte der Hexenverfolgung. Diese schreckliche Methode diente dazu, den Tod der sechzigjährigen Kräuterfrau noch effektvoller zu inszenieren. Die Explosionen beim Entzünden sollten als eine Art von „Feuerwerk“ die Hinrichtung dramatisch untermalen. Eine solche Art der „Feuerdramatisierung“ ist in den Quellen zwar vereinzelt auch bei anderen Hinrichtungen nachgewiesen, die Praxis war jedoch ungewöhnlich und blieb Ausnahmen vorbehalten.
Beschuldigte der Hexerei in Wiener Neustadt: Namen, Jahreszahlen und Urteile
Jahr | Name | „Delikt“ | beschuldigt | freigelassen | Geldstrafe | gefoltert | verbannt | im Kerker verstorben | hingerichtet |
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1435 | Regina Lerich | Nekromantie | B | V | |||||
1562 | Apollonia Schlemer | Schadenzauber | B | G | H | ||||
1562 | Ruprecht Schlemer | Schadenzauber | B | G | H | ||||
1592 | unbekannte Frau | k. A. | B | ||||||
1592 | unbekannte Frau | k.A. | B | G | |||||
1596 | unbekannte Diebin | k.A. | B | ||||||
1597 | unbekannte Frau | k.A. | B | G | |||||
1602 | unbekannte Pflegemutter | Schadenzauber | B | ||||||
1604 | unbekannte Kaufhauszauberin | Schadenzauber | B | ||||||
1607 | unbekannte Verdorrerin | Schadenzauber | B | V | |||||
1611 | unbekannter Wahrsager | Wahrsagerei | B | ||||||
1621 | Karl Pilling | Schadenzauber | B | ||||||
1621 | unbekannte Gastwirtin | Behexung | B | ||||||
1624 | unbekannte Schwarzauerin | k.A. | B | F | |||||
1624 | unbekannte Frau | k.A. | B | IKV | |||||
1624 | unbekannter Mann | k.A. | B | G | |||||
1635 | unbekannter Schneidersfrau | Glückzauber | B | ||||||
1635 | unbekannter Stiefvater | Glückzauber | B | ||||||
1646 | unbekannter Spitalsknecht | Hostienschändung | B | G | V | ||||
1653 | Urban Graf | Wahrsagerei | B | F | |||||
1671 | Michael Gsöllner | Wahrsagerei | B | G | IKV | ||||
1671 | Afra Schick | Wahrsagerei Kräuterheilkunde | B | G | H | ||||
1671 | unbekannte Witwe | Schadenzauber | B | F | |||||
1676 | unbekannte Frau aus Lichtenwörth | Wetterzauber | B | F | |||||
1683 | Andre Sebastian Kleminkh | Teufelspakt | B | G | |||||
1685 | Hans Georg Häringer | Hostienschändung | B | € | |||||
1744 | Andreas Müller | k.A. | B |
Weitere Informationen zu den einzelnen Fällen
1435 – Regina Lerich, Frau des Michel Lerich. Stahl drei Totenhauben von Hingerichteten. Aus der Stadt verbannt.[1]
1562 – Apollonia und Ruprecht Schlemer, Totengräber. Besprenktelten die Straßen von Wiener Neustadt mit Friedhofserde und dem Wasser einer ausgekochten Kinderleiche.[1]
1592 – Eine unbekannte Frau, deren Name eine verurteilte Hexe während der Folter genannt hat.[2]
1596 – Eine Diebin (Name unbekannt), die gleichzeitig der Hexerei angeklagt wurde.[2]
1597 – Eine Frau (Name unbekannt), die der Hexerei verdächtigt wurde. Der Richter gab Anweisung, sie nach Zauberzeichen zu untersuchen. Die Haare sollten rasiert werden und es sollte ihr „a Trankl vom Freimann“ eingeflößt werden, bevor sie der Folter zugeführt wurde. Es sind einige Fälle dokumentiert, in denen die Opfer der Folter vor der Tortur Wein zu trinken bekamen, oftmals in großen Mengen. Sogar von einer Weinsuppe und acht Maß Wein (13 L) wird berichtet.[2]
1602 – Eine Frau (Name unbekannt), die der Zauberei angeklagt wurde, weil sie „ihrem Pflegekind Arme und Beine gebrochen“ hätte.[2]
1604 – Klage eines Kaufmanns gegen eine Frau (Name unbekannt), die ihm „seinen Laden verzaubert“ hätte, sodass er nichts mehr verkauft.[2]
1607 – Eine Frau (Name unbekannt), die der Hexerei verdächtigt wurde, weil sie „den Diener des Rentmeisters zum Verdorren und Sterben gebracht“ hätte. Wird der Stadt verwiesen, vermutlich wegen Mangels an Beweisen.[2]
1611 – Der Richter von Schwarzau schreibt an den Richter von Wiener Neustadt und informiert diesen über einen Mann (Name unbekannt), der der Kristallomantie verdächtigt werde.[2]
1621 – Der Hammerschmied klagt den Goldschmied Karl Pilling, weil er ihm „seine Männlichkeit abgezaubert“ hätte.[2]
1621 – Eine Gastwirtin (Name unbekannt), die der Hexerei verdächtigt wurde, weil sie „die Gäste durch ausgeschüttetes Badewasser verzaubere, damit sie bei ihr einkehren“ würden. Mutmaßlich war der oder die Anklagende von einem konkurrierenden Gasthof.[2]
1624 – Eine Frau (Name unbekannt) aus Schwarzau wird der Hexerei beschuldigt, muss aber wegen Mangels an Beweisen wieder freigelassen werden.[2]
1624 – Ein Mann (Name unbekannt) wird der Zauberei verdächtigt und eingekerkert. Eine Frau (Name unbekannt) wurde bereits desselben „Verbrechens“ verdächtigt und starb im Kerker. Ihre Leiche wurde verbrannt.[2]
1635 – Die Frau des Schneiders (Name unbekannt) wird beschuldigt, „als fünfzehnjähriges Mädchen im Bett eines Gesellen eine schwarze Wurzel in der Gestalt eines Kindes ohne Kopf gefunden und diese 14 Tage lang als Glückswurzel behalten“ zu haben. Ihr Stiefvater (Namen unbekannt) soll die Wurzel gestohlen haben. Bei wichtigen Ereignissen trug er die Wurzel immer bei sich, und es sei diesem Glücksbringer zu verdanken, dass er reich wurde.[2]
1646 – Ein Spitalsknecht (Name unbekannt) wurde wegen Zauberei verurteilt, weil er sich eine Hostie in seine linke Fußsohle eingeheilt hatte, um sich dadurch unverwundbar zu machen. Er wird an den Pranger gestellt, ausgepeitscht und aus der Stadt verbannt.[2]
1653 – Der 60-jährige Wurzelgraber Urban Graf von Sitzendorf wurde der Wahrsagerei beschuldigt. Er besaß zwei Kristalle, von denen eine in Pottendorf versetzt war. Wegen seines Alters und seiner Kinder wird Urban verschont.[1][2]
1671 -Der 70-jährige Michael Gsöllner und die weit über 60-jährige Afra Schick werden der Hexerei angeklagt. Michael Gsöllner starb im Kerker, Afra wird bei lebendigem Leibe verbrannt. Zur Belustigung wird ihr Schießpulver um den Bauch gebunden.[1][2]
1671 – Eine Witwe (Name unbekannt) wird der Hexerei beschuldigt. Sie soll „durch ein präpariertes Wasser Krankheiten“ erzeugt haben. Es kommt – vermutlich aus Mangel an Beweisen – nicht zum Prozess.[2]
1676 – Eine Frau aus Lichtenwörth (Name unbekannt) wurde der Hexerei beschuldigt, nachdem Wiener Neustadt von einem Unwetter heimgesucht wurde. Am 20. Oktober 1676 wurde sie mangels an Beweisen wieder freigelassen.[2]
1683 – Der Buchbindergeselle Andre Sebastian Kleminkh wird der Hexerei verdächtigt und gefoltert, weil er sich „dem bösen Feind“ (also dem Teufel) ergeben wollte.[2]
1685 – Der Schneidergeselle Hans Georg Häringer wird der Zauberei beschuldigt, da er die bei der Heiligen Messe empfangene Hostie aus dem Mund nahm und sorgfältig aufbewahrte, um damit Glück im Spiel zu haben. Er wurde zu einer Geldstrafe an die Kirche verurteilt. Die Hostie wurde vom Pfarrer abgeholt.[1][2]
1744 – Der Schatzgräber Andreas Müller wurde der Zauberei verdächtigt.[1]
Quellen:
[1] https://phaidra.univie.ac.at/detail/o:1340367
[2] Josef Mayer, Geschichte der Stadt Wiener Neustadt, Band 2, Teil 1, Wiener Neustadt 1927, S. 357ff
Weiterführende Literatur:
Das Weinviertel, Folge 4/5/6, 1987
Fritz Byloff, Hexenglaube und Hexenverfolgung in den österreichischen Alpenländern, 2011, SEVERUS Verlag
Bild: KI