Das Lothringer Hexenkind
Opfer der Lothringer Prozesse
11.08.2025
Die 7-jährige Jana Hacquart, Tochter von Francoise Hacquart aus dem Dorf Ville-sur-Illon (heutiges Département Vosges) wurde gemeinsam mit ihrer Mutter wegen Hexerei verurteilt. Die Mutter wurde hingerichtet, die Tochter in die Obhut einer Matrone gegeben. Leider erfuhr sie auch dort nichts als Angst, Hass, Lüge und Missbrauch.

Hoheitsgewalt: Herzogtum Lothringen (unter Herzog Karl III.)
Herrschaftsform: Territoriale Fürstenherrschaft (erbliches Herzogtum)
Landesherrschaft: Herzog Karl III. von Lothringen (reg. 1545–1608)
Reichszugehörigkeit: Formal Teil des Heiligen Römischen Reiches
Reichskreiszugehörigkeit: Nicht in einen Reichskreis eingegliedert (Lothringen hatte eine Sonderstellung und verweigerte den Beitritt)
Höchste kirchliche Autorität: Papst Gregor XIV. oder Innozenz IX. (beide regierten hintereinander im Jahr 1591)
Höchste regionale kirchliche Autorität: die 3 Bischöfe von Metz, Toul und Verdun
Höchste weltliche Autorität: Rudolf II. von Habsburg, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches
Höchste regionale weltliche Autorität: Herzog Karl III. von Lothringen
Weitere Beteiligte: Richter und Hexenjäger Nicolas Rémy
Die Mutter von Jana, die rund 40-jährige Francoise Hacquart, wurde im Jahr 1591 der Hexerei angeklagt. Francoise dürfte Witwe gewesen sein, denn wenn der Vater zum Zeitpunkt ihrer Hinrichtung nicht bereits tot gewesen wäre, hätte das Kind nicht so einfach in klösterliche Aufsicht oder in die Obhut einer Matrone gegeben werden. Die Gründe für die Vorwürfe nennt der Hexenjäger Nicolas Rémy in seinem Werk Daemonolatreiae Libri tres (1595) – der Primärquelle für diesen Fall – nicht explizit, aber einer der Anklagepunkte betraf ihre angebliche Teilnahme am Hexensabbat.
Das Herzogtum Lothringen war zu dieser Zeit ein Zentrum heftiger Hexenverfolgungen und stand unter dem Einfluss des berühmten Richters und Hexenjägers Nicolas Rémy. Er brüstete sich damit, in einem Zeitraum von 10 Jahren über 900 Hexen[1] um ihr Leben gebracht zu haben. In seiner Schrift schildert Rémy den Fall Hacquart sehr ausführlich und im Tonfall eines Augenzeugen oder unmittelbaren Richters.
Unter der Folter gestand Françoise, sie habe ihre Tochter Jana dem Dämon übergeben, um sich selbst endlich von dessen Belästigungen zu befreien. Tochter Jana bestätigte diese Aussage – vermutlich aus Angst, vielleicht auch unter Einschüchterung, Drohung, Misshandlung oder sogar Folter. Dieses vermeintliche Geständnis einer Siebenjährigen genügte, um sie wie eine Erwachsene schuldig zu sprechen. Nun muss schon bei Erwachsenen das sogenannte ‚Zugeben‘ im historischen Kontext kritisch betrachtet werden, da sie meist unter Druck, Folter oder stark suggestiver Befragung erzwungen wurden. Im Fall von Kindern wie Jana gilt dies in noch weitaus höherem Maße.
Trotz der Verurteilung von Jana hielt es eine angesehene Frau der Stadt für unangemessen, ein Kind dieses Alters nach geltendem Recht hinzurichten. Rémy nennt diese Frau „die Herrin des Ortes“. Vermutlich handelte es sich um die Inhaberin des Lehnsrechts über Villé-sur-Illon. Zur Zeit der Verurteilung von Jana Hacquart war dies Marie Le Veneur de Tillières, die Gräfin von Salm. Vermutlich war sie es, die sich dafür einsetzte, dass Jana verschont blieb. Sie argumentierte, das Mädchen sei noch viel zu jung, um bereits schädliche Zaubereien ausgeübt haben zu können. Jana wurde daraufhin in die Obhut einer „gewissen Matrone“ gegeben. Meist handelte es sich dabei um verwitwete Frauen aus der örtlichen Oberschicht. Diese sollte Jana überwachen, „bis sie den Dämon abgeschüttelt und wieder zu Verstand zurückgefunden hätte“.
Jana schlief bei den Mägden der Matrone und wurde vermutlich auch wie eine solche behandelt. Eines Nachts sollen die Mägde beobachtet haben, wie sich Janas Körper in die Luft erhob, was damals als Versuch des Teufels bewertet wurde, das Kind zu holen. Die Mägde hätten danach zu beten begonnen, was den Teufel dazu zwang, das Kind in den Dachbalken abzulegen und zu verschwinden. Ob die Erzählung von den Mägden stammt oder von Rémy selbst ausgeschmückt wurde, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Dass es sich jedoch um ein erfundenes Märchen handelt, steht außer Zweifel, denn es ist kaum vorstellbar, dass jemand eine derartige Begebenheit tatsächlich gesehen hat. Rémy betont, dass es sich bei dieser Geschichte nicht um eine „bloße Erfindung der Mägde“ handele, die „ein leeres Gerücht verbreiten wollten“. Diese Art der Verteidigung legt jedoch eher nahe, dass die Geschichte bewusst zur Bestärkung seiner Argumentation konstruiert wurde. Angeblich sollen diesen Vorfall auch alle Nachbarn beobachtet haben, die aufgrund des Geschreis der Mägde zusammengelaufen seien.
Jana verbrachte danach 8 Tage und 8 Nächte in einem „jämmerlichen Zustand des Stupors“, einem Zustand starker psychischer und körperlicher Erstarrung. Jana aß nicht, sprach nicht und schlief nicht mehr. Dies wertete Rémy ebenfalls als Beweis für ihre Schuld. Denn schon Plinius soll davon ausgegangen sein, dass es unmöglich sei, länger als sieben Tage ohne Nahrung zu überleben. Wer diese Zeit dennoch überlebte, musste nach Rémys Vorstellung übernatürliche Kräfte haben.
Da die Darstellung von Francoise und Jana von Nicolas Rémy selbst überliefert ist, liegt die Vermutung nahe, dass er den Prozess entweder unmittelbar leitete oder das Urteil zumindest in letzter Instanz bestätigte. Alles deutet darauf hin, dass es tatsächlich die erwähnte ‚Herrin des Ortes‘ war, die Jana das Leben rettete. Rémy legte das Carolina-Strafrecht scharf aus und zeigte wenig Neigung zu mildernden Ausnahmen. Im Zusammenhang mit Jana behauptet er, dass er neben ihrem Fall noch viele weitere Kinder kennengelernt hätte, die von ihren Eltern in die Hexerei eingeweiht worden waren. Kinder, die von den Richtern seiner Zeit für schuldfähig befunden wurden, bestrafe man, indem man sie entkleidete und mit Ruten züchtigte – an eben jenem Ort, an dem ihre Mutter zuvor lebendig verbrannt worden war. Dies erschien Rémy jedoch wenig sinnvoll, denn Strafe würde ihm zufolge „keine korrigierende oder bessernde Wirkung auf Verbrecher“ zeigen. Wer einmal in die Hände des Dämons gefallen sei, so argumentiert der Hexenjäger weiter, könne nur selten gerettet werden, außer durch den Tod. Das Alter des Kindes als Entschuldigung zuzulassen galt ihm als gefährlich, da nachsichtiges Vorgehen bei Hexenkindern für ihn eine Sicherheitsgefahr darstellte.
Wahrscheinlich hob Rémy diesen Punkt im Fall Jana deshalb so eindringlich hervor, um damit deutlich zu machen, dass er die Gnade der „Herrin des Ortes“ missbilligte. In seinen Augen stellte ihre Intervention eine Schwächung der Ordnung dar. Indem er so ausführlich über den angeblich fehlenden Nutzen milderer Strafen schrieb, versuchte er nicht nur, seine eigene Haltung zu legitimieren, sondern zugleich die Autorität jener Frau infrage zu stellen, die sich über sein richterliches Verständnis von Gerechtigkeit hinweggesetzt hatte. Rémy argumentierte in seinen Schriften also nicht allein juristisch, sondern nutzte sie zugleich als Mittel, um Machtkämpfe sichtbar zu machen. Sein Werk erscheint in diesem Licht weniger als nüchterne Dokumentation, sondern vielmehr als eine gezielte Rechtfertigung der eigenen Unerbittlichkeit.
Es ist schwer vorstellbar, was Jana durchmachen musste. Das Kind war bereits psychisch stark belastet durch die Misshandlungen im Zuge der Verhöre und durch den Verlust beider Eltern – des Vaters, der offenbar schon zuvor verstorben war, und der Mutter, die öffentlich hingerichtet wurde. In der Obhut der Matrone und ihrer Mägde fand Jana keinen Schutz, sondern begegnete Misstrauen und Furcht. Die überlieferte Erzählung, das Kind sei in die Luft erhoben und von den Mägden nur durch Gebete ‚gerettet‘ worden, kann als Ausdruck dieses Misstrauens verstanden werden. Solche Geschichten dienten häufig dazu, das Bild dämonischer Besessenheit zu stützen und das Verhalten des Kindes zu erklären. Aus anderen Hexenprozessen ist bekannt, dass Kinder, die in den Verdacht der Hexerei gerieten, körperlicher Gewalt, Misshandlung (auch sexuelle Misshandlung) oder Vernachlässigung ausgesetzt waren. Angesichts dieser Erfahrungen wirkt es kaum verwunderlich, dass Jana in einen Zustand tiefer Erstarrung und Sprachlosigkeit verfiel. Was in Wahrheit eine Folge ihrer traumatischen Erfahrungen war, interpretierten die Autoritäten wiederum als Wirkung dämonischer Kräfte und warfen ihr auch noch vor, vom Teufel besessen zu sein. Für ein siebenjähriges Mädchen muss dies eine kaum fassbare psychische Belastung bedeutet haben. Jede Regung ihres Körpers, jedes Schweigen, jede Unruhe konnte in dieser Perspektive als Bestätigung für die vermeintliche dämonische Besessenheit gedeutet werden. Damit war sie nicht nur aller Fürsorge beraubt, sondern wurde zugleich zur Projektionsfläche der Ängste und Wahnideen der Erwachsenen. In den Quellen erscheint Jana nur noch als Objekt der Beobachtung – nicht aber als Kind mit Gefühlen und eigener Stimme.
Es hat viele andere in meiner Erinnerung gegeben, die schon im zarten Alter von ihren Eltern zur Sünde verführt wurden und die, da sie schon für fähig zur Schuld erschienen, von uns Duumvirn verurteilt wurden, nackt ausgezogen und mit Ruten geschlagen zu werden an dem Ort, wo ihre Eltern lebendig verbrannt wurden. Dies war viele Jahre lang die Gepflogenheit; dennoch habe ich nie geglaubt, dass das Gesetz durch solche Methoden voll erfüllt sei – besonders dann nicht, wenn, wie später noch zu sagen sein wird, das Kind in einem Alter ist, in dem es schuldfähig erscheint, und wenn bewiesen ist, dass es eine giftige Handlung der Zauberei begangen hat. Denn es scheint mir, dass man in Hinblick auf die öffentliche Sicherheit solche Kinder zusätzlich verbannen und aus den Grenzen der menschlichen Gemeinschaft ausschließen sollte.
Nicolas Rémy, Daemonolatreiae Libri tres[2] (1595)
Quellen:
[1] Francesco Maria Guazzo, Nicholas Remy, wikipedia
[2] Nicolas Rémy, Daemonolatreiae Libri tres
Weiterführende Literatur zu Joana Hacquart:
Bild: KI