Der Malleus Maleficarum kann als erste Strafprozessordnung Mitteleuropas angesehen werden. Das Werk des Kirchenrechtlers Heinrich Kramer war ein frühneuzeitliches Verfolgungshandbuch, das praktische Anleitung zur organisierten Gewalt gegen vermeintliche Hexen gab – und damit auf den Vollzug einer bestimmten Strafe hinwirkte. Das Werk wurde von Richtern und Inquisitoren als eine Art quasi-strafvollstreckende Handlungsanleitung betrachtet – obwohl es weder im weltlichen noch im kirchlichen Sinn jemals eine rechtsförmige Strafprozessordnung war.
Rechtshistoriker werden meinem gewählten Titel vehement widersprechen. Denn der Malleus Maleficarum (1486) war kein juristisches Werk im engeren Sinne. Es handelte sich weder um ein gesetzgeberisches noch um ein rechtsdogmatisches Regelwerk, sondern um ein theologisch-dämonologisches Traktat mit pseudojuristischem Anspruch, das vor allem der ideologischen Rechtfertigung und praktischen Anleitung zur Verfolgung vermeintlicher Hexen diente.
Bezieht man aber neben der klassischen Rechtsgeschichte auch die Ideengeschichte des Strafrechts mit ein und versteht den Begriff „Strafprozessordnung“ funktional – im Sinne einer praktischen Handlungsanleitung zur systematischen Verfolgung eines bestimmten Delikts innerhalb eines rechtlich geprägten Rahmens –, dann lässt sich der Hexenhammer durchaus als erstes strafprozessuale Regelwerk interpretieren.
Die Strafprozessordnung: Grundlage für die staatliche Verfolgung und gerichtliche Aufarbeitung von Straftaten
Kurz zur Einordnung für all jene, die keine Rechtshistoriker oder Juristen sind (so wie ich): Die Strafprozessordnung regelt das Verfahren, mit dem Straftaten staatlich verfolgt, untersucht und vor Gericht behandelt werden. Es definiert nicht, welche Handlungen strafbar sind und welche Strafen dafür vorgesehen sind; diese Regelungen enthält das Strafgesetzbuch.
Der Malleus Maleficarum stand sowohl außerhalb des weltlichen als auch des kanonischen Rechtsrahmens. Er war zu keiner Zeit ein offizielles Werk und wurde weder vom Papst noch von einem Konzil approbiert und gehörte niemals zur formellen Gesetzgebung. Vielmehr handelte es sich um ein privates Traktat eines Inquisitors namens Heinrich Kramer, der sich auf die päpstliche Bulle Summis desiderantes (1484) berief, um sich die Autorität zur Veröffentlichung dieses Werkes selbst zuzuschreiben.
Ganz freisprechen kann sich die Kirche von ihrer Mitverantwortung dennoch nicht – denn es gab sehr wohl eine Approbation(11), wenn auch nur durch Professoren der Kölner theologischen Fakultät (1487). Zudem ließ die Kirche Kramer bis zu seinem Tod weiterwirken und und duldete seine Vorgehensweise stillschweigend. Sein Unwesen trieb er in Innsbruck, Speyer, im Elsass, in Franken, Böhmen, Schwaben, Abensberg (Bayern) und Schlettstadt (heute Sélestat im Elsass). Nur in Innsbruck wurde ihm bereits 1485 – ein Jahr vor Erscheinen seines Malleus – die Arbeit untersagt und alle von ihm angeklagten Hexen freigelassen.
Es dauerte fast 150 Jahre, bis das brutal-frauenverachtende Werk des Dominikanermönchs 1632 in den Index der verbotenen Bücher der römisch-katholischen Kirche (Index Librorum Prohibitorum) aufgenommen wurde. In der langen Zwischenzeit – und auch noch Jahrzehnte danach – konnten sich Richter und Inquisitoren ungehindert auf das Werk berufen und es als Praxisgrundlage für Hexenverfolgungen heranziehen. Auch, wenn sie längst mit tatsächlich strafrechtlich orientierten Gesetzeswerken wie der Bamberger Halsgerichtsordnung (1507) oder der Constitutio Criminalis Carolina (1532) arbeiteten.
Nur der Malleus Maleficarum lieferte eine so detaillierte Anleitung zur Hexenverfolgung
Kein anderes Werk beschrieb so präzise wie der Malleus Maleficarum die Vorgehensweise bei der Hexenverfolgung. Zwar existierten auch schon davor Schriften, die sich mit Hexerei, ihrer Verfolgung, Verhör und Folter befassten – etwa das Decretum Gratiani, das Directorium Inquisitorum oder der Formicarius. Der Malleus war jedoch das erste Werk, das diese Elemente in systematischer, aggressiver und breit angelegter Form bündelte – und es wurde dadurch zum einflussreichsten und folgenreichsten seiner Art. Zahlreiche kirchliche und weltliche Hexenrichter orientierten sich in ihrer Argumentation und Praxis am Malleus. Auch Inquisitoren griffen auf das Werk zurück – obwohl es niemals offiziell als verbindliche Rechtsgrundlage anerkannt wurde. Die Verhörpraxis von Heinrich von Schultheiß etwa zeigt eine deutliche Anlehnung an den Malleus.
Zu den Prinzipien des Malleus zählten unter anderem die Vorverurteilung der Angeklagten – allein der Verdacht auf Hexerei galt bereits als Beweis –, die massive Untergrabung zur effektiven Verteidigung(1) durch einen Advokaten, die Anordnung von Isolationshaft(2), die Zulassung(3) und detaillierte Anleitung(4) zur Folter, die Verwendung von Gerüchten als Beweise(5) sowie die Annahme der Schuld, wenn die Angeklagten schwiegen oder ihre Unschuld beteuerten. Diese Prinzipien beeinflussten die Rechtstradition und wirkten auf die Anwendung und Auslegung der ersten deutschen Strafgesetzbücher ein.
Keine konkrete Anleitung durch das Strafgesetzbuch
Die Constitutio Criminalis Carolina (Peinliche Halsgerichtsordnung von 1532) war das erste deutsche Strafgesetzbuch. Und obwohl dieses juristische Werk sich um eine rechtlich geregelte Strafverfolgung bemühte, übernahm sie in großen Teilen die Denkweisen, die im Malleus propagiert wurden. So galt bei Hexereiverfahren auch in der Carolina das Geständnis als Beweis der Schuld(6) – wobei dieses nicht selten unter Anwendung der ausdrücklich zugelassenen Folter erlangt wurde. Ebenso wie im Malleus wurde auch unter der Constitutio Criminalis Carolina der Verteidiger in seiner Tätigkeit blockiert und seiner eigentlichen Funktion weitgehend beraubt. Die Carolina sah formal zwar die Möglichkeit einer Verteidigung vor, doch in der Praxis blieb der Advokat nahezu bedeutungslos – seine Rolle beschränkte sich auf die eines bloßen Statisten, ohne echten Einfluss auf das Verfahren oder die Urteilsfindung(7).
Auch in Bezug auf die Anordnung von Haft aufgrund bloßer Denunziation(8) sowie die Zulassung der Folter(9) stand die Carolina dem Malleus kaum nach – auch wenn sie sichtlich bemüht war, statt rein theologischer Ideologie ein Mindestmaß an juristischer Vernunft und Systematik einzubringen. Was ihr aus heutiger Sicht jedoch nicht gelang, da das juristische Wer in einer Epoche entstand, in der die Aufklärung erst begann, den humanistischen Gedanken der Menschenwürde allmählich in das europäische Denken zu tragen.
Eine praktische Anleitung zur Durchführung der Folter bot die Constitutio Criminalis Carolina nicht; sie regelte lediglich die rechtlichen Rahmenbedingungen. Gerade darin lag jedoch eine ihrer größten Schwächen: Das Fehlen konkreter Vorgaben öffnete der Fortführung von etablierten, oft willkürlichen Praktiken Tür und Tor. Es ist daher naheliegend, dass sich weltliche Hexenkommissare und Hexenrichter auf bereits vertraute und eingeübte Verfahren stützten. Die im Malleus genannten „Anleitungen“ zur Folter hatten über Jahrzehnte hinweg erheblichen Einfluss auf die Praxis und wurde nicht nur von kirchlichen, sondern auch von weltlichen Richtern angewandt. Solange es keine Verurteilung des Malleus gab – und diese erfolgte erst spät, nämlich im Jahr 1632, beinahe ein Jahrhundert nach der Einführung der Carolina –, blieb das Buch vielerorts eine faktische Handlungsgrundlage, insbesondere in Regionen, in denen der Glaube an Hexerei tief verankert war.
Da sich rechtliche Neuerungen in der Frühen Neuzeit oft erst über Generationen hinweg durchsetzten, ist davon auszugehen, dass die in der Praxis etablierten Foltermethoden – gestützt auf das Denken des Malleus – auch lange nach dem Verbot des Malleus durch die Kirche weiterverwendet wurden. Ein ausdrückliches Verbot der Folter erfolgte vielerorts erst im 18. Jahrhundert. In Ermangelung besserer normativer Vorgaben und unter dem Druck einer tief verwurzelten Hexenfurcht gab es für Richter kaum Anlass, von der bewährten Praxis abzuweichen.
Mangels klarer Vorgaben griffen Richter auf etablierte Praktiken zurück
All dies zeigt, dass der Malleus in der Praxis vielerorts die Funktion einer inoffiziellen Strafprozessordnung für Hexereidelikte übernahm, da die Constitutio Criminalis Carolina keine derart ausführliche und spezifische Anleitung zum Vorgehen bei Hexereiverdacht bot. Artikel 109 der Carolina(10) erklärte, dass „Zauberei“ strafbar sei, sofern daraus erkennbarer Schaden – etwa Krankheit, Tod oder Ernteausfall – entstanden ist, und dass darauf in der Regel der Tod durch Feuer steht. Doch darüber hinaus schweigt das Gesetz. Es wird nicht ausgeführt, wie in Hexereiverfahren ermittelt, befragt oder geurteilt werden soll. Weder finden sich konkrete Regelungen zur Erkennung von Hexerei, noch Hinweise auf Dämonenbünde, Teufelspakte oder nächtliche Flüge. Es fehlt eine eigene Verfahrenslogik für Hexereidelikte – etwa hinsichtlich Beweisführung, Verhörtechniken oder der Rolle der Folter im Kontext dämonologischer Vorstellungen. Und auch wenn dieses Schweigen möglicherweise als bewusste Ablehnung solcher Vorstellungen durch die Carolina zu deuten ist, hätte ein so grundlegendes Werk diese populären und gefährlichen Lehren zumindest einordnen bzw. zurückweisen müssen – zumal sie zur damaligen Zeit in der Rechtspraxis längst verbreitet waren.
Der Malleus Maleficarum war zwar kein offizielles Gesetzeswerk, übernahm jedoch faktisch die Rolle einer inoffiziellen Strafprozessordnung für Hexereidelikte im frühneuzeitlichen Mitteleuropa. In einer Zeit ohne spezialisierte strafprozessuale Regelungen bot er detaillierte Anleitungen zur Identifikation, Anklage und Bestrafung vermeintlicher Hexen – inklusive genauer Anleitung der Anwendung von Folter. Aufgrund seines enormen Einflusses prägte er über Jahrzehnte hinweg die Praxis sowohl kirchlicher als auch weltlicher Gerichtsbarkeit.
Quellen:
(1) wikisource, Malleus Maleficarum, Zehnte Frage
(2) wikisource, Malleus Maleficarum, Siebente Frage
(3) wikisource, Malleus Maleficarum, Vierzehnte Frage
(4) history.hanover.edu, Maleus Maleficarum, englisch
(5) wikisource, Malleus Maleficarum, Siebente Frage
(6) jura.uni-muenster.de, Vorlesung Deutsche Rechtsgeschichte
(7) archive.org – Full text of „Die peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls Consitutio Criminalis Carolina : Ausgabe für Studierende“, Artikel 88
(8) archive.org – Full text of „Die peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls Consitutio Criminalis Carolina : Ausgabe für Studierende“, Artikel 11
(9) ra.smixx.de – Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. (Constitutio Criminalis Carolina), Artikel 44
(10) ra.smixx.de – Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. (Constitutio Criminalis Carolina), Artikel 109
(11) Malleus Maleficarum in Originalfassung mit der Hexenbulle ‘Summis desiderantes affectibus’ von Papst Innocentius VIII. (ab S 8ff) und der Approbation durch Professoren der Kölner theologischen Fakultät vom 19.5.1487
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