Musste sterben, weil sich ein Schneider als Hexenjäger profilieren wollte
Die erste Hexe in Transsilvanien
28.07.2025
Die ungarischstämmige Hebamme und Javas-Frau[2], Mutter, Großmutter und Witwe Prisca Kőmíves (auch: Kewmies) wurde im Jahr 1565 der Hexerei bezichtigt, im Rathaus in Klausenburg (ungarisch: Kolozsvár, rumänisch: Cluj-Napoca) eingekerkert, gefoltert und für schuldig befunden.

Hoheitsgewalt: Johann Sigismund Zápolya, Johann II, König von Ungarn
Herrschaftsform: Erb- bzw. Wahlmonarchie, Osmanischer Vasallenstaat
Landesherrschaft: –
Reichszugehörigkeit: formell Länder der Krone Ungarn, de facto jedoch ein vasallenstaatliches Fürstentum unter osmanischem Schutz
Reichskreiszugehörigkeit: –
Höchste kirchliche Autorität: Die römisch-katholische Kirche hätte formal diese Rolle inne – doch faktisch war dies 1565 nicht mehr zentral, da religiöser Pluralismus existierte (kath., luth., calv., unitarisch).
Höchste regionale kirchliche Autorität: Der unitarische Superintendent Ferenc Dávid, ab 1564 Theologe und 1568 Gründer der unitarischen Kirche, war in Klausenburg kirchlich einflussreich.
Höchste weltliche Autorität: Der osmanische Sultan
Höchste regionale weltliche Autorität: Der Transylvanische Landtag (Diet), bestehend aus ungarischen Adligen, Sachsen und Szeklern
Weitere Beteiligte: Ankläger Péter Gruz (Schneider und „Hexenjäger“)
Im Unterschied zu Westeuropa blieb Rumänien im Mittelalter weitgehend von Hexenverfolgungen verschont. Erst in der Frühen Neuzeit, ab dem 16. Jahrhundert, erreichte der Hexenwahn auch den rumänischen Raum und beschränkte sich dort auf ungarisch- und deutschstämmige Frauen. Die mörderischen Praktiken schwappten vor allem ins Fürstentum Transsilvanien, justament jenes Gebiet, das im 12. Jahrhundert von Deutschen und Ungarn besiedelt wurde. In den beiden anderen historischen rumänischen Fürstentümern – der Walachei und der Moldau – sind deutlich weniger Hexenprozesse überliefert.
Eine der bedauernswerten Frauen, die in Klausenburg (Kolozsvár) dem Hexenprozess zum Opfer fiel, war Prisca Kőmíves (auch: Kewmies genannt). Prisca übte einen gesellschaftlich wenig angesehenen und oftmals stigmatisierten Beruf aus. Sie war Hebamme und ging damit einer Tätigkeit nach, die eng mit Geburt, Blut und dem weiblichen Körper verbunden war. In katholischen Klöstern war das Hantieren mit Blut im Zusammenhang mit medizinischer Behandlung verboten – deshalb genossen Hebammen nur einen niedrigen sozialen Stand, vergleichbar mit dem eines Handwerkers. Und auch wenn im orthodoxen Raum der Umgang mit Blut nicht in gleicher Weise formell untersagt war, gab es ebenfalls klare religiöse und liturgische Einschränkungen, die faktisch zu ähnlichen Abgrenzungen führten. Kurz gesagt: Wer einen helfenden Beruf ausübte und dabei mit Körperflüssigkeiten in Kontakt kam, war besonders anfällig für schlechte Nachrede und Verdächtigungen. Dies machte sich ein selbsternannter Hexenjäger als Mittel zur Inszenierung der eigenen Bedeutung zunutze.
Prisca war eine ältere, alleinstehende Frau, vermutlich verwitwet, die sich ihren Unterhalt als Hebamme verdiente. Als Anklägerin wird die Bürgerin Dorottya Benedek, die Ehefrau eines städtischen Bediensteten, genannt – in den überlieferten Zeugenaussagen taucht ihr Name jedoch nicht auf. Dies lässt sich entweder damit erklären, dass Dorottya Benedek als Privatklägerin auftrat oder dass sie lediglich vorgeschoben wurde und in Wahrheit jemand anderer hinter Priscas Anklage stand. Zu dieser Zeit strebte ein Schneidermeister aus dem Ungarstraßenviertel in städtischen Angelegenheiten nach Einfluss. Péter Gruz war besonders eifrig an den frühen Hexenverfolgungen in Klausenburg beteiligt.
Es ist durchaus denkbar, dass Dorottya Benedek selbst gar nichts von dem Vorgehen wusste und Péter Gruz unter Berufung auf die Frau eines städtischen Beamten gezielt versucht hatte, sich durch die Anklage von Priscilla langfristig als Autorität und ordnende Kraft in Klausenburg zu etablieren. Er führte sogar selbst das Verhör im Rathaus. Nach Priscas Verurteilung, die er als Erfolg verbuchte, leitete er ein Verfahren nach dem anderen gegen Frauen ein – auch ganz ohne formale Klage. Kein anderer Bürger tauchte jemals so häufig in den Gerichtsakten der Stadt auf – sei es als Partei oder als Zeuge.
Die erste Anschuldigung, die den Verdacht nährte, Prisca könne eine Hexe sein, bestand in der Behauptung, Dorottya Benedek habe sie als sogenannten Nachtraben (Nocticorax) identifiziert. Interessant ist, dass diese Aussage nicht von Dorottya selbst stammt, sondern in der Verhandlung durch einen männlichen Zeugen eingebracht wurde. Beachtenswert ist zudem, dass Péter Gruz ebendiese Bezeichnung, „Nocticorax“, auch bei anderen Hexenprozessen immer und immer wieder verwendete, wenn er Frauen als Hexen denunzierte.
Beim Nocticorax handelt es sich um eine dämonische Gestalt, die mit Schadenzauber in Verbindung gebracht wird. In kirchlichen Schriften wurde der Nocticorax sowohl als körperliche als auch seelische Bedrohung verstanden – als die Macht des Bösen, die des Nachts wirkte. Dem Glauben nach suchte er in Gestalt eines Raben Häuser heim, raubte schlafenden Kindern den Atem, verursachte Krankheiten und entzog den Opfern dadurch ihre Lebenskraft, von der er sich ernährte. Besonders bei plötzlichem Kindstod oder bei unerklärlichen nächtlichen Leiden wie Schlaflähmung, Albträumen oder nächtlichen Angstzuständen wurde häufig eine solche dämonische Präsenz vermutet. Die Vorstellung war, dass sich ein übernatürliches Wesen nachts auf die Brust der Schlafenden setzte, ihnen den Atem nahm und sie in einen lähmenden Schrecken versetzte – ein Phänomen, das unter dem Begriff „Hexenritt“ bekannt war. Dass man gerade den Raben zur Symbolfigur solcher Kräfte machte, hat eine tieferen kulturellen Ursprung: In der antiken Welt, insbesondere bei den Griechen, galt der Rabe als Vogel der Weissagung, der mit dem Gott Apollon in Verbindung gebracht und als sein heiliger Vogel verehrt wurde. Um sich von den Vorstellungen der antiken Glaubenswelt abzugrenzen, kehrte man deren symbolische Bedeutung ins Gegenteil: Aus dem göttlichen Boten wurde ein dämonisches Wesen – und aus der einst ehrwürdigen Kunst der Weissagung wurde Hexerei.
Es war ein Leichtes, Prisca als Nocticorax – als todbringenden Raben – darzustellen, denn ihr Name war in Klausenburg seit Jahrzehnten eng mit Krankheit und Heilung verknüpft. Doch gerade diese Nähe machte sie im Falle eines pflegerischen Misserfolgs angreifbar: Blieb die erhoffte Heilung aus, wurde aus der vertrauten Heilerin schnell eine Hexe. Prisca galt in der Stadt jedoch als ehrbare Frau, die ihre Tätigkeit als Hebamme mit großer Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit ausübte. Sie kümmerte sich um Schwangere und Kranke – selbst um jene, mit denen sie in persönlichen Konflikt geraten war. Zahlreiche Zeugen, deren Kinder mit ihrer Hilfe zur Welt gekommen waren, äußerten sich ausschließlich positiv über sie. Auch Priscas Tochter, die als Amme tätig war, erfreute sich eines guten Rufes. Das Prisca ein ehrbares und unauffälliges Leben geführt hatte, sagte sogar die Frau aus, bei der Prisca zuletzt in Untermiete gewohnt hatte.
Neben den zahlreichen Zeugen, die Prisca als hilfsbereite und angesehene Frau bezeichneten, traten jedoch auch Zeugen auf, die sich gegen Prisca wandten. Auffällig ist dabei, dass mehrere Aussagen von Personen mit dem Nachnamen Mezaros stammen. Die Familie Mezaros beschuldigte Prisca gemeinsam mit weiteren Zeugen, sie habe Drohungen ausgesprochen, Verwünschungen geäußert, Schadenzauber betrieben und sei in Gestalt einer Katze in ein Haus eingedrungen, um dort Unheil zu stiften. Es scheint, als wäre die Familie Mezaros entweder mit Péter Gruz befreundet gewesen und hätte ihm bei seiner Hexenjagd aktiv Unterstützung zuteilwerden lassen, oder dass sie mit ihren Aussagen ihre Loyalität gegenüber Clara Bochÿ zu festigen versuchten. Wie Clara Bochÿ zur Familie Mezaros stand, ist leider nicht überliefert.
Prisca Kőmíves wurde für schuldig befunden und am 7. Februar zum Feuertod verurteilt. Ihre Hinrichtung fand im Februar 1565 außerhalb der Stadt statt, möglicherweise im Gebiet von Óvár (heute Teil von Mosonmagyaróvár), unterhalb der Hídelver-Ländereien in der Nähe des Nádas-Bachs. Vor ihrer Hinrichtung gab Prisca Clara Bochÿ als Hexenkollegin an. Bereits im März wurde Clara Bochÿ der Hexerei angeklagt[3] und hingerichtet. Von Prisca wurde in diesem Prozess nur noch als „die bereits verbrannte Frau“ gesprochen – eine Bezeichnung, die sie in der öffentlichen Wahrnehmung endgültig zur überführten Hexe machte.
„Diese Frau wurde lebendig dem Feuer übergeben und hatte ein gutes Lebensende.“
Binsfeld Peter, Tractatus de confessionibus maleficorum et Sagarum recognitus[1]
Quellen:
[1] Binsfeld Peter, Tractatus de confessionibus maleficorum et Sagarum recognitus[1], S. 32, digitale-sammlungen.de
Kolozsvári boszorkányperek 1564–1743, Die Hexenprozesse von Klausenburg (Kolozsvár), Library of the Hungarian Academy of Sciences
Kőmíves Prisca boszorkánypere 1565-ből, Der Hexenprozess gegen Prisca Kőmíves aus dem Jahr 1565, Hungarian Electronic Library
[2] Die Javas-Frauen (Javasasszony), weiberkraft.com
[3] Clara Bochÿ, weiberkraft.com
Weiterführende Literatur zu Prisca Kőmíves:
Cum erau arse pe rug vrăjitoarele în Cluj: cine a fost prima vrăjitoare condamnată după un proces și arsă pe rug lângă Nadăș, ”în locul obișnuit”, Wie die Hexen in Klausenburg verbrannt wurden: Wer die erste Hexe war, die nach einem Prozess verurteilt und bei Nadăș „an der gewohnten Stelle“ auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, actualdecluj.ro
Hexenverfolgung in Rumänien, weiberkraft.com
Bild: KI