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Susanna Lehner („Die Stoyberin“)

Neid als Triebkraft: Der soziale Aufstieg, den das Dorf nicht verzieh

Überlebende der Hexenverfolgung im Mühlviertel


Die Bäurin und Näherin Susanna Lehner, „die Stoyberin“, aus Weidet bei Feldkirchen an der Donau, Ehefrau von Andre Lehner, wurde der Hexerei bezichtigt und eingekerkert, jedoch mangels an Beweisen lediglich zu einer Geldstrafe verurteilt.

Susanna Lehner
zu einer Geldstrafe verurteilt, 1663, Österreich

Hoheitsgewalt: Habsburgische Erblande
Herrschaftsform: Grundherrschaft Oberwallsee
Landesherrschaft: Erzherzogtum Österreich ob der Enns
Reichszugehörigkeit: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation
Reichskreiszugehörigkeit: Oberegger Adelskreis
Höchste kirchliche Autorität: Papst Alexander VII.
Höchste regionale kirchliche Autorität: Fürstbischof v. Passau, Karl Joseph von Österreich
Höchste weltliche Autorität: Kaiser Leopold I.
Weitere Beteiligte: Gerichtspfleger Georg Kroppa


Susanna Lehner ist ein Beispiel dafür, wie sozialer Neid und dörfliches Gerede in der Frühen Neuzeit in einen Hexenprozess münden konnte. Wer im sozialen Gefüge aneckte – besonders dann, wenn es sich um eine Frau handelte, die noch dazu älter war – lief Gefahr, mit ein paar fantastischen Anschuldigungen aus der Gemeinschaft verdrängt zu werden. Dieses Muster war weit verbreitet und sagte weit weniger über die beschuldigten Person aus als über die politischen Zustände, in denen solche Vorwürfe gedeihen konnten. Ungesunde soziale Konstellationen entstehen nach wie vor überall dort, wo Menschen in Bedrängnis geraten. Die Menschen der Frühen Neuzeit lebten in einem Spannungsfeld: Einerseits sahen sie sich durch Missernten und Viehsterben existenziellen Bedrohungen ausgesetzt, andererseits wurden sie von der Kirche dazu gedrängt, an Dinge zu glauben, die ihrem gesunden Menschenverstand widersprachen. Denn, seien wir uns ehrlich: Schon damals glaubte im Grunde niemand daran, dass jemand auf einer Ofenschüssel zum Schneeberg fliegen könne. Und dennoch führten solche absurden Beschuldigungen zu Hinrichtungen.

Alles begann mit dem Sperl-Bauern aus Weidet, der bei Susanna Lehner, genannt „die Stoyberin“, Schulden hatte. Eigentlich hätte er diese ohne Weiteres begleichen können – wie Susanna zählte auch er zu den wohlhabendsten Bauern im Dorf. Doch anstatt seiner Verpflichtung nachzukommen, zog er es offenbar vor, die Sache zu ignorieren und sich zu verhalten, als hätte es die Schuld niemals gegeben. Susanna beschäftigte dies sehr, denn hier spielte auch ein spezieller sozialer Umstand eine Rolle, den es in dieser Form nur in der Frühen Neuzeit gab: Wer im Dorf als Hexe galt, dem gegenüber fühlte man sich nicht verpflichtet, seine Schulden zu begleichen. Vielmehr erwartete man, dass eine solche Person dankbar dafür sei, überhaupt unbehelligt zu bleiben – und sich entsprechend ruhig und unauffällig verhielte.

Susanna hatte die Gerüchte über sie schon mehr als einmal vernommen. Ihren Ursprung hatten diese wohl in dem Umstand, dass sie gemeinsam mit ihrem Mann – aus einfachen Verhältnissen stammend, ohne eigenen Grundbesitz, er im Schiffsbau, sie als Näherin tätig – dennoch zu beachtlichem Wohlstand gelangt war. Im kleinen Dorf Weidet, das lediglich aus zehn Häusern bestand, war es ihnen gelungen, einen eigenen Hof zu erwerben. Mit Fleiß, Geschäftssinn und einem wachsenden Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen hatten sie sich eine angesehene Stellung erarbeitet. Für Susanna war das missgünstige Gerede der Dorfbewohner daher nichts anderes als Ausdruck ihres Neides.

Es überraschte Susanna nicht, als sie am 10. Oktober 1663 von den Verleumdungen der Feyrer-Bäuerin – im Dorf nur „die Feyrerin“ genannt – erfuhr. Diese hatte öffentlich und vor aller Augen und Ohren behauptet, Susanna sei eine Hexe und habe zur Fastweihnacht (Fastnacht) mit dem Teufel getanzt. Das konnte Susannas Familie nicht unbeantwortet lassen. Denn bei öffentlichen Anschuldigungen dieser Art stand nicht nur der Ruf auf dem Spiel – es ging um nichts Geringeres als die wirtschaftliche Existenz, mitunter sogar um das eigene Leben. Jakob Lehner, der Dorfwirt und Schwager Susannas, reichte daher eine Klage wegen Rufschädigung ein. Doch die Feyrerin zeigte sich uneinsichtig, verweigerte eine Rücknahme ihrer Aussagen und begann stattdessen, dem Gerichtspfleger die abenteuerlichsten Geschichten über Susanna zu berichten. habe die 18-jährige Barbara, Susannas Magd, allerlei fantastische Geschichten im Dorf verbreitet – Erzählungen, denen die Feyrerin offenbar Glauben schenkte, obwohl es sich offenkundig um nichts als Gerüchte handelte. Auf Veranlassung des Gerichtspflegers wurde daraufhin die Magd vorgeladen und verhört. Während der Einvernahme schilderte diese, in einer Nacht ein kleines schwarzes Männchen in Susannas Haus gesehen zu haben. Sie hätte es zunächst für einen Hund gehalten, doch dann habe sie dieses Wesen aufgefordert, schlafen zu gehen. Am selben Abend habe Susanna zu ihrem Mann Andre gesagt: „Ich muss heute noch tanzen.“ Diese Geschichte hatte die Magd in Weidet verbreitet und damit nicht nur die Feyrerin, sondern die gesamte Dorfbevölkerung in Aufruhr versetzt. Besonders aufgebracht hatte die Erzählung der Magd jedoch ihren Dienstherren, Susannas Ehemann. Als er davon erfuhr, stellte er sie zur Rede und fragte, ob sie ihn um sein Leben bringen wolle. In seiner Empörung verweigerte er ihr sowohl den Jahreslohn als auch die übliche Dienstkleidung. Doch all das schien die Magd wenig zu beeindrucken. Bei einem weiteren Verhör erklärte sie, ihre Dienstherrin Susanna habe häufig nachts Schmalz ausgelassen und seit Ostern keine Messe mehr besucht. Seit Pfingsten, so fügte sie hinzu, verbiete Susanna sogar ihr den Kirchgang.

In der Folge kam es zu zahlreichen weiteren Verhören. Der Mann der Feyrerin etwa gab an, ein durchreisender Störweber[1] habe ihm erzählt, er habe die Johannisnacht in Susannas Stall verbracht – und in jener Nacht sei ein solches Geschrei rund um den Stadel gewesen, dass er geglaubt habe, nun sterben zu müssen. Auch der 19-jährige Knecht des Sperl-Bauern äußerte sich. Er berichtete, Susanna habe ihm, als er noch Dienstbube gewesen sei, ein schwarzes Männchen gezeigt, das in der Donau bade. Ein weiteres Mal, nun bereits als Knecht, habe sie ihm dieselbe Erscheinung gezeigt – und zwar immer dann, wenn die Kirchenglocken zum Gebet geläutet hätten. Es habe sich um ein schwarzes Wesen von tischhoher Gestalt gehandelt, das bis zu den Knien im Wasser der Donau gestanden sei. Simon Staybelmüllner sagte aus, dass erst vor wenigen Tagen der Kranewitbauer aus Pesenbach bei Susanna gewesen sei – mit der Absicht, ihr ihren Geist abzukaufen. Der Kranewitbauer war im Ort kein Unbekannter: Vor sechs Jahren war er vom Gerichtspfleger in Haft genommen worden, weil er sich der verbotenen Schatzgräberei schuldig gemacht hatte. Der Pängerl-Bauer wiederum sagte aus, er habe einen Gegenzauber durchgeführt, bei dem mit einem Weißdornzweig Milch in einem Sautrog geschlagen wird. Kurz darauf, so behauptete er, habe Susanna im Gesicht ganz blau und ihre Kleidung zerrissen ausgesehen – für ihn ein eindeutiges Zeichen, dass der Zauber gewirkt habe und ihr schwarzes Männchen sie geschlagen habe.

Aufgrund der gegen sie erhobenen Vorwürfe wurde Susanna am 16. November inhaftiert. In ihrer Not bot sie an, dem Sperl-Bauern seine Schulden zu erlassen – unter der Bedingung, dass man sie wieder auf freien Fuß setze. Doch es war zu spät. Vor Gericht herrschte unter den Zeugen Einigkeit: Sie hätten Susanna schon immer für eine Hexe gehalten – lange bevor sie überhaupt ins Weidtal (nach Weidet) gekommen sei. Sie verkaufe jedes Jahr große Mengen an Schmalz und Eiern, doch keiner ihrer Nachbarn habe je etwas von diesen Waren gesehen. Daraus schlossen sie, Susanna müsse ihre Produkte heimlich verkaufen.

Endlich war Susanna an der Reihe, sich zu den Vorwürfen zu äußern. In ihrer Aussage erklärte sie, dass sie und ihr Mann vor sechzehn Jahren das Stoyber-Gut erworben hätten. Der Vorbesitzer habe Stoyber geheißen, weshalb man sie seither im Dorf „die Stoyberin“ nenne. Zuvor hätten sie bei verschiedenen Bauern als Magd und Knecht gelebt und sich ihr Vermögen mit der Arbeit als Störhandwerker[2] aufgebaut. Erst nach dem Kauf des Hofes hätten die Anschuldigungen der Hexerei begonnen. Immer wieder sei es deshalb zu Streitigkeiten gekommen, besonders oft und intensiv mit der Feyrerin. Für Susanna stand außer Frage: Der Grund für die Angriffe war Neid auf ihren sozialen Aufstieg. Zu den Anschuldigungen bezüglich des schwarzen Männleins gab sie zu Protokoll: Das einzige, was sie je gesehen habe, sei der Tod gewesen, der einst vor einem Haus gestanden habe. Kurz darauf sei tatsächlich eine Magd verstorben. Und zu den blauen Flecken in ihrem Gesicht sagte sie, die habe ihr kein Geist zugefügt – sie stammten von einem Unfall beim Holzhacken.

Dass sie nicht regelmäßig die Kirche besuche, begründete Susanna mit den vielen Tieren, um die sie sich zu kümmern habe. Dafür bete sie täglich zu Hause. Ihre Magd hingegen habe sie mehrfach zum Gottesdienst geschickt, diese habe sich jedoch beklagt, kein angemessenes Kleid dafür zu besitzen. Für Susanna war Barbara eine boshaft veranlagte und diebische Person. Erst kürzlich habe Barbara versucht, Susanna zu bestehlen. Dass sie das Schmalz nachts ausließ, sei allein dem Umstand geschuldet, dass sie untertags keine Zeit dafür habe. Sie vermutete, dass Barbara ihr absichtlich zuvorgekommen sei, um sie mit Anschuldigungen zu überziehen, bevor sie selbst wegen Diebstahls angezeigt werden konnte. Und überhaupt – so fragte Susanna im Gerichtssaal – warum wolle dieses Gerede kein Ende nehmen? Sie selbst habe nie Klage gegen jemanden erhoben. Nicht gegen den Kirchmayr, den Sperl oder den bereits verstorbenen Pängerl, obwohl diese ihr unterstellten, ihnen die Milch abgezaubert zu haben. Sogar heimlich Schadenzauber hätten sie durchgeführt, ohne dass Susanna davon gewusst hätte.

Da sich sämtliche Aussagen letztlich als bloße Gerüchte erwiesen, wurde der Prozess mangels stichhaltiger Beweise eingestellt. Dennoch blieb die Angelegenheit für alle Beteiligten nicht ohne Folgen: So gut wie alle mussten Geldstrafen zahlen. Die Feyrerin wurde sogar kurzzeitig inhaftiert, aber bald wieder auf freien Fuß gesetzt. Simon Staybelmillner, der Sperl-Bauer, Fayrer und auch Susanna selbst wurden zu Geldbußen verurteilt.

Trotz des richterlichen Schlussstrichs kamen die Streitigkeiten im Dorf nicht zur Ruhe. Immer wieder kam es – zwischen denselben Personen – zu neuen Anklagen und Verfahren, die ebenfalls ohne eindeutige Beweise eingestellt wurden. Der eigentliche Gewinner dieser endlosen Auseinandersetzungen war das Landgericht Oberwallsee, das durch die verhängten Strafen eine beträchtliche Summe einnehmen konnte.

„Mit Hilfe von Dämonen können Zauberer Krankheiten verursachen, Menschen durch ihre Beschwörungen töten und Vieh vernichten.“

Binsfeld Peter, Tractatus de confessionibus maleficorum et Sagarum recognitus, 1605


Quellen:
[1] Störweber, webschule.lla-imst.at
[2] Störhandwerker, Salzburg-wiki

Maria Keplinger, Schadenszauber- und Hexereivorwurf in dörflichen Konflikten. Dargestellt an zwei Zaubereiprozessen im Mühlviertel in den Landgerichten Weinberg 1614 – 18 und Oberwallsee 1663, zobodat.at

Weiterführende Literatur zu Susanna Lehner, „die Stoyberin“:


Bild: KI